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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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beginnt ein Trigramm auf den Boden zu malen.
    Der Junge kriecht näher. Das hat er schon öfter gesehen, und es ist interessant. Gleich wird sein weiser Freund ihm befehlen, im Zentrum des fünften Kreises Platz zu nehmen. Er wird ein Feuer anzünden und Weihrauch verbrennen und sich vielleicht sogar mit dem Messer in den Daumenballen stechen, damit das Blut die Zeremonie besonders wirksam macht. Ihm wird schwindlig im Kopf werden, von dem duftenden Rauch, angenehm schwindlig, er wird das Singen und die getragene Beschwörung hören und die Augen schließen und sich in der Gewissheit sonnen, dass er in diesem Moment ein wichtiger Bestandteil der Zeremonie ist. Die Kinder auf der Straße lachenihn aus, die Frauen machen einen Bogen um ihn, die Halbwüchsigen werfen ihm Steine an den Kopf, wenn niemand hinsieht, und die Männer grinsen herablassend – aber sein Freund, der um den Kreis herumgeht und die Blutstropfen aus dem Daumenballen presst und murmelt und beschwört und singt und den Weihrauch aufwallen lässt, sein Freund ist nicht wie die anderen. Er braucht ihn, er hält zu ihm, er gibt ihm zu essen und zu trinken und lässt ihn teilhaben an der ZEREMONIE.
    Aber sein Freund leidet. Man hat ihm Schmerzen zugefügt. Vielleicht hat man auch nach ihm mit Steinen geworfen? Das darf nicht sein. Sein Freund ist etwas Besonderes, niemand darf ihm wehtun. Und abgesehen davon – was würde aus ihm werden, wenn sein Freund nicht mehr da wäre. Wenn man ihm so stark wehtun würde, dass er tot wäre? Wer hat seinem Freund diese Schmerzen zugefügt? Es muss verhindert werden, dass sie es noch einmal tun. Der Weihrauch duftet süß und verwirrt die einfachen Sinne, der Boden scheint zu schwanken und die grobe Zimmerdecke sich um ihn herum zu drehen, und die Stimme seines Freundes beschwört und befiehlt, bittet und betet, schmeichelt und singt.
    Dass du Schaden tust und Übel diesem Diener Gottes ...
    ... was ich von dir verlange, das tue sogleich!
    Und selbst wenn es nicht so wäre, dass sein Freund beschützt werden muss, dann müsste man doch dieser Stimme gehorchen, gehorchen, gehorchen ...
    »Sie meinen ... der Junge hielt sich für den Dämon, der beschworen werden sollte?«, fragte Langenmantel ungläubig.
    »Nein. Ich bezweifle, dass dem Jungen überhaupt klar war, was Wilhelm vorhatte. Er saß im Inneren des Kreises und war der Mittelpunkt aller Gedanken, und was er hörte, das bezog er auf sich. Wilhelm dachte, er befehle dem Dämon, aber in Wahrheit befahl er seinem schwachsinnigen Freund.«
    Wilhelms Rausch schien vollkommen verflogen zu sein. Der Junge war zu ihm hingekrochen und hatte den Kopf in seinen Schoß gelegt, und der Alchimist streichelte über seine rußigen, verfilzten Haare. »Ich bemerkte erst am nächsten Tag, was ichgetan hatte. Ich war so betrunken, dass mir die ganze Nacht fehlt. Ich wachte neben dem verwischten Trigramm auf dem Boden auf und fragte mich voller Furcht, was ich eigentlich getan hatte.«
    »Was nun?«, fragte Ulrich Hoechstetter ratlos, und dass er diese Frage stellte, bewies, dass Moral für ihn nicht nur ein leeres Wort war. Gregor von Weiden, der Burggraf, bewies mit seiner Antwort das Gegenteil.
    »Was wohl?«, stieß er hervor. »Der Junge hat vier Menschen umgebracht. Er muss hängen.«
    »Er ist nicht bei Trost«, erklärte Langenmantel. »Niemand verurteilt und hängt einen Schwachsinnigen.«
    »Jeden Tag werden Schwachsinnige verurteilt«, widersprach Gregor.
    »Nicht in Augsburg«, sagte Hoechstetter. »Nicht, solange ich im Kleinen Rat bin und etwas zu sagen habe.«
    »Und nicht, solange ich Stadtvogt bin.«
    »Wer weiß, wie lange das noch sein wird«, zischte Gregor und funkelte Langenmantel an. »Es geht hier nicht nur um drei Leute aus Ulrich Hoechstetters Haus. Es geht auch darum, dass der Bürgermeister umgebracht wurde.«
    »Ich lasse nicht zu, dass der arme Teufel, der nicht weiß, was er getan hat, aufgeknüpft wird«, erklärte Hoechstetter kalt.
    »Dann erhebe ich hiermit Anspruch auf Jurisdiktion des Bischofs.«
    »Mit welchem Grund denn, um Himmels willen?«
    »Es handelt sich hier um einen Fall von Nigromantie. Das ist Teufelswerk. Das ist Hexerei!«
    »Unfug.«
    »Der Junge«, sagte ich, »hat keinerlei nigromantische Praktiken betrieben. Wenn du so willst, ist er ein Opfer dessen. Er ist zu schützen, nicht zu bestrafen.«
    »Dann muss Wilhelm vor Gericht!« Gregor richtete sein Stöckchen auf den Alchimisten. Dieser warf mir einen gehetzten Blick

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