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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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seines Besitzes bat. In der Nähe des Eingangsportals hatte ein Wachszieher seinen Tisch aufgebaut und vermutlich während der Vormittagsmesse ein anständiges Geschäft gemacht; jetzt lehnte er griesgrämig an der Wand und hoffte wie die meisten anderen, dass das Unwetter abklang und er die Kirche verlassen konnte. Ich überraschte ihn angenehm, indem ich ihm die größte Kerze abkaufte, die er anzubieten hatte. Niemand beachtete mich, als ich mich nach rechts zu den Kapellennischen wandte und mit jedem Schritt kleine Wasserpfützen auf den Bodenplatten hinterließ.
    Es gab einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden und der Angst vor Hexen und Dämonenbeschwörern, die in der Stadt umging und die die Behörden dazu verleitete, eine verdächtige Frau über den Marktplatz zu schleifen wie eine zur Hinrichtung Verurteilte. Der Zusammenhang zeigte sich in einem kleinen, ungelenk gefertigten Symbol, das in das offene Grab eines Ermordeten geschleudert worden war und seinen ungeklärten Tod mit der Zwischenwelt der Nigromantie verband; und wenn man die abergläubischen Flüstereien in der Stadt in Betracht zog, mochte die Verbindung zurückreichen bis zum unseligen Ulrich Schwarz und dessen Gang zum Galgen. Ich wusste es nicht.
    Genauso wenig wusste ich, welche Gedanken sich Gregor von Weiden über meine plötzliche Konversion machte, wenn er sie nicht doch seinem Versuch gutschrieb, über die merkwürdigen Umstände des Todes von Martin Dädalus mein Interesse zu wecken.
    Sicher war nur eines: Über jenes kleine unheilige Symbol war auch meine Tochter Maria in all diese Vorgänge verwickelt, und das war alles, was ich an Motivation brauchte, um mich Gregor als williger Helfer zur Verfügung zu stellen.
    Dabei dachte ich mit dem unvermeidlichen schlechten Gewissen daran, dass ich schon bei meiner Verpflichtung gegen das von mir selbst aufgestellte Gebot, in dieser Partnerschaft dem anderen stets alles mitzuteilen, verstoßen hatte.
    Bischof Peter von Schaumbergs Grabstätte befand sich am Scheitelpunkt des Halbkreises, den der Chorumgang beschrieb. Sie war klein und an die Wand der Augustinuskapelle gepresst; wenn ich sein Wappen nicht in der marmornen Fußbodenplatte gesehen hätte, wäre sie mir entgangen. Keine Menschenseele war davor zu sehen, keine Kerze brannte in den eisernen Halterungen, niemand sprach ein Gebet für den Verstorbenen. Das zuckende blaue Licht des Gewitters riss den Deckel des niedrigen Sarkophags für Sekundenbruchteile aus dem Dunkel; es hätte nichts Groteskeres zu schaffen vermocht, als worauf ich ohnehin hinuntersehen musste.
    Der Leichnam meines alten Freundes und Mentors lag verfaulend vor meinen Augen.

2.
    Er hatte seine Grabplatte aus Sandstein schlagen und nicht in Erz gießen lassen wie die meisten seiner Vorgänger. Als weiteres Zeichen der Vergänglichkeit hatte er für die Figur darauf ein halb verwestes Gerippe gewählt, bei dem unter einem eingesunkenen Gesicht der Totenschädel unverblümt hervorgrinste. Er lag nackt vor aller Augen, die Rippenbögen wie die Ruinen eines Klosterbaus, die sich über dem hohlen Innenraum in die Luft reckten; Frösche, Lurche und Würmer zehrten an ihm. Er war im Leben nie so dünn gewesen. Seine Hände, im Leben die Hände eines Bauern oder Handwerkers, mit schlecht gewählten Ringen bestückt, lagen ungeschmückt und schlaff neben seinem knochigen Becken, die Beine klafften auseinander in einer Stellung, die dem Lebenden vulgär angestanden hätte. Er lag nicht anders vor aller Augen in den Stein gehauen wie der Leichnam eines Erschlagenen, den man in ein unbezeichnetes Grab geworfen hat.
    Ich entfernte einen abgebrannten Talgstumpen aus der Halterung und bemerkte, dass meine Hand dabei zitterte. Der Talgstumpen schien dafür zu sprechen, dass wenigstens ab und zu jemand ein Licht für die Seele entzündete, die in dem Körper gesteckt hatte, der hier so drastisch dargestellt war. Ich hielt den Docht der Kerze an die Flamme eines brennenden Lichts, das ich nebenan in der Konradskapelle vor dem Grabmal von Bischof Wolfhard fand: eine hagere Figur mit einem im Tode eingefallenen Gesicht und angetan mit allen Insignien seiner Macht, stolz noch als bronzegegossenes Monument seiner eigenen Vergänglichkeit und auf die Künstler, die das Abbild geschaffen hatten.
    Bischof Peter hatte nichts erschaffen lassen, das Stolzausdrückte. Ich schützte das Flämmchen, als ich mit der brennenden Kerze zu seinem Grabmal zurückkehrte. In der Halterung wirkte

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