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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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entsprach nicht dem schlanken, hoch gewachsenen Frauenbild, das die Freskenmaler an die Kirchenwände pinselten, und auch nicht den heroischen Venusgestalten, die die Bildhauer aus dem Stein zu befreien versuchten; sie stellte eher das Abbild des einfachen Lebens dar, das niemand in Putz zu malen oder in Stein zu klopfen für würdig erachtet und das dennoch mehr Schönheit hatte als die meisten Kunstwerke zusammengenommen.
    »Wachskerzen sind teuer«, erwiderte sie. »Ich kann es mir nicht leisten, eine zu kaufen, die fast so groß ist wie der Perlach neben dem Rathaus, und sie dann auch noch stecken zu lassen, damit der Priester sie am Abend stehlen kann.«
    »Manchmal muss man sein Geld eben unter die Leute bringen.«
    Sie lächelte und deutete auf den Talgstummel in meiner Hand. »Es gibt noch andere, die dem alten Bischof Peter eine Kerze anzünden. Es sind wenige, aber es gibt sie.«
    »Und Sie? Sie können ihn kaum selbst gekannt haben. Sie müssen noch ein Kind gewesen sein, als er starb, nicht viel älter als zehn Jahre.«
    »Ich tue es für meinen Großvater. Er hat ihn gut gekannt.«
    Ich nickte. Sie lächelte nochmals zu mir auf. »Offenbar haben Sie ihn auch gut gekannt. Leben Sie wohl.«
    »Es regnet draußen.«
    »Ja, aber nur Wasser. Das hat noch keinem geschadet.«
    Sie öffnete die Eingangspforte und schlüpfte hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich hätte gern länger mit ihr gesprochen; abgesehen von Gregor von Weiden war sie dieErste, die nicht vor Ablehnung starre Augen bekommen hatte, als sie von meiner Verbindung mit dem alten Bischof erfuhr. Ich blickte über die Schulter zurück, doch der Kenotaph Peter von Schaumbergs war von meinem Standort aus nicht zu erblicken. Ich bedauerte es nicht; lieber behielt ich das Bild des lächelnden, hübschen Gesichts unter dem gefältelten Tuch als letzten Eindruck vom Grabmal meines Freundes zurück als die unsägliche, von Würmern und Fröschen und Ungeziefer heimgesuchte Gestalt, die er in seinen einsamen letzten Jahren zur Erinnerung an sein Dasein in dieser Welt ausgewählt hatte.

3.
    Gregor und ich trafen gleichzeitig vor dem Haus Ludwig Stinglhammers in der Langen Gasse ein. Wenn ich bedachte, wie lange ich mich im Dom aufgehalten hatte, musste ihn irgendetwas aufgehalten haben. Oder er hatte einfach abgewartet, bis der Regen nachließ, um seinen wertvollen Rappen nicht der Gefahr auszusetzen, nass zu werden. Das Gewitter war weitergezogen und tobte sich jetzt östlich des Lech aus. In den Gassen standen knöcheltiefe Pfützen, die Kotrinnen waren Sturzbäche, in denen die Leichen kleiner nackter Vögel schwammen, die vom Regen aus ihren Nestern gespült worden waren. Die schweren Tropfen und die Windböen hatten viele sommermüde Blätter von den Ästen der Obstbäume gerissen und aus den Gärten in die Gassen verteilt, wo sie die Kopfsteine bedeckten wie verfrühte Vorboten des Herbstes. Ich sah eine struppige Katze, die vor einem der kleinen rosafarbenen Leichname kauerte und versuchte, ihn ins Leben zurückzurufen, damit es eine interessante Tötung gebe. Die Ratten, die wie Schatten ihrer selbst über die noch menschenleeren Gassen huschten, waren weniger wählerisch und zerrten die Beute hastig in ihre Löcher.
    Gregor rieb missmutig an ein paar Dreckspritzern, die auf dem kurzen Weg vom Fronhof zur Langen Gasse an das glänzende Fell seines Pferdes gekommen waren. Er sah mich an.
    »Rein mit uns.«
    Ich nickte und ließ ihm den Vortritt.
     
    Ludwig Stinglhammers Haus war die billige Ausgabe des Wohnhauses seiner Herrschaft und lag an einer Stelle der Langen Gasse, wo diese sich vom Domhügel bereits wieder nach untensenkte. Der Turm des Wertachbrucker Tors, ein paar Gassen weiter, beherrschte die Dächer und niedrigen Fassaden. Die Häuser hier waren teilweise noch aus Holz; nicht alle hatten eine gemeinsame Brandmauer, sodass ein enger Durchstich zwischen ihnen lag, die quintana, in den die Bewohner der Häuser ihren Unrat kippten und der von Tieren und Menschen gleichermaßen als Latrine benutzt wurde. Der Regen hatte die Gerüche aus der Luft gewaschen, doch waren sie gerade dabei, sich neu zu verbreiten. In Venedig hatte es Gassen gegeben, deren Wände man links und rechts hatte berühren können, wenn man nur die Ellbogen angewinkelt hatte; die Lange Gasse war breiter, aber die Geschichte vom jungen Edelmann mit dem fehlenden Anstand, der beim Durchreiten der Gassen die Füße in den Steigbügeln so weit nach außen streckte,

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