Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
dass er die ganze Gassenbreite einnahm und mit den Schuhspitzen den Passanten die Hüte von den Köpfen stieß, hätte auch hier spielen können.
Die Eingangstür des Hauses führte uns in eine Wohnstube, deren Decke in Holz geschnitzt und in Felder unterteilt war; die Wände wiesen die gleiche Vertäfelung auf. Die Fenster saßen in tiefen Nischen in den Mauern und ließen das ungewisse Licht des abziehenden Unwetters nur ungnädig durch runde Butzenscheiben passieren; einzelne Scheiben waren mit Wappenschildern bemalt, die sicher nicht Ludwig Stinglhammer gehört hatten. Eine der Wandseiten war von einem gekachelten Ofen eingenommen mit der üblichen Bank, die sich links und rechts davon an der Wand entlangzog und Sitzgelegenheiten an dem kreuzbeinigen Tisch bot. Vor einem der Fenster stand eine Truhe, mit einer Stoffdecke darauf, ebenfalls als Sitzmöglichkeit ausstaffiert. Die Möblierung hätte selbst in einem größeren Raum zu viel der freien Fläche eingenommen; hier wirkte sie, als wäre ein zu großer Fuß in einen zu engen Stiefel geschlüpft. Es gab kaum Platz zum Atmen oder um an den Möbeln vorbei die Tür zu erreichen, die in die Tiefe des Hauses führte. Ludwig Stinglhammer war ein kläglicher Kopist des Lebensstils gewesen, den er täglich vor Augen hatte; er hatte zwar vermieden,dass das Äußere seines Hauses mehr als bescheidene Größe annahm, doch war ihm nicht klar geworden, dass er mit dem pompösen Ausgleich, den seine Möbel darstellten, die Grenze der Lächerlichkeit weit überschritten hatte.
»Der Geist baut sich seine Hülle«, brummte Gregor.
Stinglhammers Dienstboten saßen um den Tisch herum; jemand schien sie vorgewarnt zu haben. Keiner von ihnen stand auf, als wir eintraten, und ihre Blicke hießen uns alles andere als willkommen. Gregor machte schmale Augen. Ich sah, dass er das Stöckchen mit der Elfenbeinhand wieder bei sich trug, und fragte mich, ob er die fahlfarbene Klaue nach ihrer Begegnung mit dem Toten am Morgen abgewischt hatte. Die Verachtung hing so greifbar in der Luft wie der Geruch des Mahls vom Vorabend.
»Wer hat hier das Sagen?«
Einer der Dienstboten war ein fleischiger Mann mit unrasierten Wangen und Haarstoppeln, die erst wieder begonnen hatten, nach der letzten Läuseschur nachzuwachsen. Er sah aus wie ein Kerl, der in der Zechstube als Erster zu raufen beginnt und den Platz nicht ohne aufgeschlagene Knöchel und einem halben Dutzend weich geprügelter Kontrahenten verlässt.
»Was geht das den Burggrafen an?«, grollte er. Ich verdrehte die Augen, als Gregor vor Jähzorn erbleichte. Er richtete die Faust an ihrem Stöckchen auf den Sprecher. »Du! Bist du Stinglhammers Majordomus?«
»Das hier ist nicht Kirchengrund.«
»Alles ist Eigentum des Herrn.«
»Der Herr Bischof ist nicht Jesus Christus.«
»Ich bin der Vertreter des Bischofs.«
»Der Arschabwischer des Bischofs, um genau zu sein.«
»Ich will deinen Namen wissen. Sofort!«, keuchte Gregor.
Ich seufzte und berührte Gregor am Arm. »Wollen wir uns hier mit dem Gesinde prügeln oder herausfinden, wer Stinglhammer umgebracht hat?«
»Ich mach das auf meine Weise«, zischte Gregor und war im Begriff, seinen hilflosen Zorn auf mich umzulenken.
Der unrasierte Dienstbote deutete auf mich und sah Gregor an. »Wer ist er?«
»Ich bin mein eigener Arschabwischer«, sagte ich liebenswürdig.
Ein paar von den Anwesenden kicherten. Gregor und der Sprecher des Gesindes funkelten mich mit gleicher Wut an. Früher, wenn Gregor eine Situation hatte eskalieren lassen, hatte ich es vermocht, mit einem Scherz auf meine Kosten die Spannung zu lösen – vor allem die meines Ermittlungspartners. Es schien, dass ich diese Fähigkeit verloren hatte. Ich versuchte einen anderen Weg.
»Du bist nicht der Majordomus«, erklärte ich dem bulligen Mann.
»Und woher wollen Sie das wissen?«
»Weil der Hausverwalter von Herrn Stinglhammer sich nicht zwischen die Dienstboten gesetzt hätte, um den offiziellen Ermittlungsbeamten des Bischofs und des Hauses Hoechstetter mit groben Worten zu empfangen.«
Gregor presste die Lippen zusammen und warf den Kopf zurück. Der bullige Mann machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Herr Hoechstetter hat die Untersuchung dem Burggrafen anvertraut? Das glaube ich nicht!«
»Du kennst den Weg zum Haus Hoechstetter. Erkundige dich nachher, wenn du willst. Und jetzt erwarte ich, dass du den Majordomus informierst, dass wir angekommen sind.«
Er musterte mich, wiederholte die
Weitere Kostenlose Bücher