Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
unvermittelt.
»Ich suche immer noch nach ihr«, erklärte ich und irgendwie entsprach es der Wahrheit.
»Es tut mir Leid, wenn ich wegen des Begräbnisses von Martin Dädalus falsche Hoffnungen in dir geweckt habe.«
»Ist schon gut. Während ich ermittle, kann ich mich gleichzeitig in der Stadt nach ihr umhören.«
»Wenn du etwas rausgefunden hast, lass es mich wissen.« Er kam um den Tisch herum und klopfte mir auf die Schulter. »Das Gewitter wird sich noch eine Weile hier austoben. Ichgehe in den Stall und sehe zu, dass die Tölpel mein Pferd richtig behandeln. Soll ich dir etwas zu essen auftragen lassen?«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Wie du willst. Heute Abend kommst du aber um ein kleines Bankett nicht herum. Bischof Johann führt einen exquisit eingerichteten Vorratskeller.« Er rieb sich den Bauch. »Vielleicht brauche ich auch bloß mal wieder ein vernünftiges Gelage, um meine Gedärme aus dem Tiefschlaf zu wecken. Hab ich dir schon erzählt...«
»Hat Seine Exzellenz ein paar von Bischof Peters Weinen aufgehoben?«, unterbrach ich ihn.
»Nein«, sagte Gregor und gestattete sich ein kurzes betrübtes Lächeln. In dieser Sache waren wir uns einig gewesen: Bischof Peter hatte eine Nase für guten Wein gehabt – und ungewöhnlich freigiebig von den Schätzen ausgeteilt, die er stets mit Eifer und Freude gesammelt hatte. »Bischof Johann hat sie alle wegschütten lassen. Er meinte, sie seien ihm zu schwer.«
»Sic transit gloria mundi«, sagte ich und fühlte einen Stich – weniger wegen der Qualität der vergossenen Ware als wegen der Achtlosigkeit, mit der Bischof Peters Nachfolger die wenigen Besitztümer behandelt hatte, die seinem Vorgänger etwas wert gewesen waren.
»Amen«, erklärte Gregor. Er angelte nach seinem Barett und schritt zur Tür. Seine Sporen klangen auf dem Boden. Seit dem Morgen hatte er sich nicht die Mühe gemacht, sie abzulegen. »Wenn der Regen ein wenig nachlässt, sollen die Burschen die Fenster hier aufmachen. Es ist stickig wie in einer Hundehütte.« Bei der Tür drehte er sich um. »Wenn es dir zu kühl wird, schließt du sie einfach wieder. Oder wolltest du in der Zwischenzeit etwas anderes unternehmen?«
»Ich wollte Bischof Peters Grabmal aufsuchen.«
Er hielt inne, die Tür in der Hand. Sein Gesicht wurde ernst.
»Du hast ihn immer für deinen Freund gehalten, nicht wahr?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Mir gegenüber hat er sich niemals geöffnet.«
Von seinen Worten betroffen, wiederholte ich meine Geste. Gregor seufzte und trat durch die Tür.
»Tu es nicht«, sagte er.
Der Gewitterregen fiel noch immer mit aller Heftigkeit. Ich rannte den weiten Weg vom Bischofspalast über den Fronhof zu den Kapellen hinüber und hastete über die Lichte Grad zum Südportal des Doms. Danach war ich genauso nass wie vor meinem Aufenthalt im Inneren des Palastes. Der Regen hatte den staubigen Hof und den festgetretenen Boden der Grad in eine lehmglitschige Fläche verwandelt, in der tiefe Pfützen standen und aufspritzten, als wären sie sturmgepeitschte Seen. Ich fühlte, wie mir das kalte, schmutzige Wasser in den Stiefel drang, als ich in eine trat. Der Wind bekämpfte mich beim Versuch, die Bronzetüren zu bewegen, und riss mir einen Türflügel beinahe aus der Hand, als ich sie endlich geöffnet hatte. Ein Donnerschlag rollte in das finstere Kirchenschiff, und ein Regenschleier färbte die Bodenplatten hinter dem Portal dunkel. Ich schlüpfte hinein und zog die Tür gegen den Widerstand der Sturmböen zu. In der Kirche herrschte Nacht; die Talglichter und Kerzen waren matte Punkte in der Dunkelheit und beinahe unsichtbar, wenn ein Blitz in die hohen Fenster leuchtete. Es roch nach den Kerzenflammen, nach feuchtem Staub und nach den Resten des Weihrauchs von der Vormittagsmesse, und es war so kühl im Inneren der Kirche, als wäre draußen niemals Sommer gewesen. Erschauernd zog ich die Nase hoch.
Bei den Seitenkapellen hinter dem Chorumgang standen kleine Grüpplein von Menschen und unterhielten sich halblaut. Wahrscheinlich waren sie vor den Gewalten des Unwetters hereingeflüchtet und warteten darauf, dass sie wieder nach draußen konnten, ohne vollkommen durchnässt zu werden. Andere knieten vor den Reliquienschreinen und beteten. Frische Kerzen waren entzündet worden; offenbar gab es unter den Kirchenbesuchern den einen oder anderen, den das Unwetter ängstigte und der die Heiligen um ein Ende des Ausbruchs derNaturgewalten und um Verschonung
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