Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
das über einer häufig bewirtschafteten Küche liegt.
In Ludwig Stinglhammers Haus hatten die Dienstboten untätig in der Stube gehockt. Im Palast des Bischofs saßen sie in der Gesindekammer. Sie waren ebenso schweigsam und starrten mich mit derselben Mischung aus Trotz und Feindseligkeit an wie die Männer und Frauen im Haus des ermordeten Buchhalters. Die Ähnlichkeit der beiden Szenen machte mich beklommen. Sie schien zu bedeuten, dass in beiden Häusern der Herr fehlte und derjenige, der sein Vertreter war, zwar nach seiner Macht gegriffen hatte, aber an Autorität nichts besaß als einen hohlen Titel. Dann erkannte ich, dass die Dienstboten in der Gesindekammer des Bischofspalastes ausschließlich alte Männer waren, die ihre Augen nicht aus Hass, sondern aus Kurzsichtigkeit zusammenkniffen, und die Dinge rückten sich wieder ein wenig ins Lot. Ich grüßte sie, und sie grüßten mummelnd oder kopfnickend zurück, sichtlich ohne jede Ahnung, wer ich war oder dass ich nicht eigentlich zum Gefolge des Bischofs gehörte. Bischof Johann gab ihnen das Gnadenbrot, und Gregor führte diese Pflicht während der Abwesenheit des Bischofs weiter. Wenn mich etwas erstaunte, dann, dass dem Burggrafen noch nicht der Gedanke gekommen war, den alten Leuten die Gnade des Bischofs zu entziehen, solange er dasSagen hatte. Es roch nach den Düften der Küche, die durch den Fußboden zu dringen schienen, nach feucht gewordenen und schlecht getrockneten Kleidern und nach Altmännerfürzen.
Sie hatten ein Gespräch geführt, bis ich hereingekommen war; sie hatten es unterbrochen, starrten mich an und warteten darauf, dass ich den Raum wieder verließ, damit sie weiterreden konnten, oder ihnen ein neues Gesprächsthema lieferte. Sie waren nicht abgehärmt wie alte Austragsbauern, die ihre Glieder nicht mehr gebrauchen können und nutzlos in einer Ecke des Stalls ihre Tage mit dem Warten auf den Tod verdämmerten; sie hatten ihr Leben mit harter Arbeit verbracht, doch sie waren nicht Wind und Wetter ausgesetzt gewesen oder dem Widerstand einer feindlichen Natur. Sie waren junge Leute gewesen, als Bischof Peter sie eingestellt hatte; als ich zu ihm gestoßen war, mussten sie mittleren Alters gewesen sein und heimlich über meine ehrfürchtigen ersten Begegnungen mit dem Bischof gelacht haben. Ich sah in die faltigen, grauen Gesichter und erkannte nicht eines von ihnen wieder. Einer von ihnen war eingeschlafen: Sein Kopf ruhte auf den Unterarmen, die er vor sich auf den Holztisch gelegt hatte, und alles, was von ihm zu sehen war, war ein wirrer weißer Schopf, dessen dünnes Haar nach allen Seiten abstand. Er hatte den Kanten Brot und die Schüssel mit verwässerter Milch, die vor ihm standen, nicht angerührt. Keiner von ihnen hatte es getan. Wie die Gäste eines Banketts saßen sie vor ihrem Mahl und schienen auf ein Signal zum Beginn zu warten. Ich räusperte mich und griff nach der Türklinke, um den Raum gleich wieder zu verlassen. Lediglich die Erinnerung an meine Gefährtin Jana und das Kind, das in wenigen Wochen zu uns beiden gehören würde, half mir, den trüben Gedanken zu verscheuchen, dass auch ich nur noch durch eine übersichtliche Zeitspanne davon entfernt war, zu werden wie sie.
Schließlich hob einer die Hand und deutete auf mich. Er öffnete den zahnlosen Mund und befeuchtete seine Lippen mit einer blassen Zungenspitze. »Das ist sie nicht, oder?«, nuschelte er.
Seine Gefährten nickten. Einer stöhnte ungeduldig. »Du bist blind wie ein Maulwurf, zum Henker. Das ist doch ein Kerl.«
»Kommt sie heute nicht?«, fragte mich der erste Sprecher.
»Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen«, erwiderte ich. Der alte Mann legte eine gekrümmte Hand hinter sein Ohr und kniff ein Auge zusammen. Ich wiederholte meine Worte, nur bedeutend lauter. Er zuckte mit den Schultern.
»Sie kommt heute nicht«, erklärte einer seiner Kameraden.
»Warum kommt sie nicht?«
»Auf wen warten Sie denn?«, rief ich. Sie sahen sich an. Sie waren verwirrt und vor allem verdrossen. Einer fasste zu dem Schlafenden hinüber und rüttelte ihn unsanft.
»He, Albert«, krächzte er, »wo bleibt sie denn?«
Der Schläfer brummte und zog den Kopf zwischen die Schultern.
»Gestern war sie da«, stellte einer der Alten fest, ein Mann mit Glatze und trüben Vogelaugen. »Aber heute nicht.«
»Du bist gestern gar nicht hier gewesen«, widersprach jemand dem Glatzkopf. Dessen Mund formte sich zu einem empörten O, hinter dessen Rund das
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