Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
dir, du böse, fälsche Schlange, aus der Kraft des Herrn, ich beschwöre dich im Namen des reinen Lammes!
Ely Sother Sabaoth. Ely Sother Sabaoth. Elysothersabaoth! Azrael.
Der Mann machte einen schrecklichen Fehler. Der Mann war ich.
»Peter, was machst du denn hier?«
Es war kein Traum.
»Und noch dazu so gut wie nackt?«
Jedenfalls nicht alles.
Ich starrte in die leere Kapelle des Bischofspalastes. Das ewige Licht brannte in seinem Gehäuse, nicht recht dazu angetan, den kleinen Raum zu erhellen. Ich zog meine Hand vom Türöffner zurück und musterte sie. In der Mulde zwischen Daumen und Zeigefinger waren ein paar Ölflecken. Ich wischte sie an meinem Hemd ab.
»Peter, du siehst aus, als hättest du den Leibhaftigen gesehen« , sagte Gregor.
Ich schüttelte den Kopf. Die Stimme war verstummt. Ich wusste, dass ich sie wieder hören würde. Sie hatte zu lange schweigen müssen, um sich jetzt so ohne weiteres erneut in die Stille zwingen zu lassen. Ich räusperte mich. Meine Zunge fühlte sich an wie ein Stück Holz, auf dem sich Moos angesetzt hat.
»Wo kommst du denn her?«, fragte ich. Gregor trug eine dunkle Schaube und darunter den fast bodenlangen Rock eines Domherren. An seinen Stiefeln steckten diesmal keine Sporen. Er roch nach Weihrauch.
»Von wo schon?«, fragte er zurück. »Ich war im Dom. Ich habe die Mitternachtsmesse besucht.«
»Es ist Mitternacht?«
»Es war Mitternacht. Jetzt haben wir einen neuen Tag.«
Er sah mich von oben bis unten an. Als er bei meinen Füßen angekommen war, stutzte er. »Du hast die Stiefel falsch herum an«, stellte er fest.
»Ich glaube, ich habe zu viel getrunken.«
»Meinst du? Doch nicht mehr als ich.«
»Jedenfalls habe ich ...«
»Was?« Gregor streckte den Kopf neugierig in die Kapelle und musterte mich dann mit zusammengekniffenen Augen. Als ich nichts sagte, schloss er die Tür leise. Er trat ein paar Schritte zurück. Ich merkte, dass ich ihm folgte.
»Du weißt schon noch, dass das die Kapelle ist, wo du ...«
»Ich weiß es.«
Er musterte mich ein zweites Mal. Er trug eine Fackel. In ihrem Licht sah ich, dass seine Wangen gerötet waren. Sie erblassten merklich, als er mich eingehend betrachtet hatte.
»Was hast du gesehen?«, flüsterte er heiser.
»Nichts«, sagte ich. »Nichts gesehen, nichts gehört. Vor allem nicht die Warnung meines Schutzengels, der mir beim vorvorletzten Becher Wein ins Ohr flüsterte: Jetzt ist es aber genug, Alter.«
»Ich bring dich zu deiner Kammer«, bot Gregor an und schob seine freie Hand unter meinen Arm. Misstrauisch starrte er über die Schulter zur Tür der Kapelle zurück, als wir uns in Bewegung setzten. Meine Füße schmerzten tatsächlich gemein wegen der falsch angezogenen Stiefel. Gregor sah auf sie hinunter und kicherte plötzlich. »So besoffen, dass ich die Schuhe nicht mehr richtig herum anziehen konnte, war ich noch nie.«
»Ich habe dich mindestens einmal so betrunken erlebt, dass du sie gar nicht mehr anziehen konntest«, grollte ich.
»Das ist was anderes«, erklärte er würdevoll. Dann prustete er wieder los. Er schien so aufgekratzt zu sein, wie ich verwirrt war. Wahrscheinlich hatte er auch nicht auf seinen Schutzengel gehört, als dieser ihm riet, mit dem Trinken aufzuhören. Oder er hatte drüben im Dom zu tief in den Kelch mit dem Messwein geschaut und seinen Rausch aufgewärmt.
Seit die Tür zur Kapelle geschlossen war, hörte ich die Stimme wieder. Hatte ich nicht von Anfang an gewusst, dass es meine eigene war?
Ich ließ mich von Gregor willig zu meiner Schlafkammer führen, ein Trottel, ein massiger Tanzbär mit einem lächerlichen Leibhemd und den Stiefeln an den falschen Füßen, den sein schlanker, eleganter Meister am Nasenring zurück in seinen Käfig weist.
9.
Ich blickte in die Morgendämmerung hinaus und sah dem Nebel zu, wie er über die Stadt kroch.
Augsburg lag wie eine Königin in der Umarmung der beiden Flüsse Wertach und Lech, und diese beiden Arme schienen nun Leichentücher über ihre Schutzbefohlene zu breiten. Als die Dunkelheit zu weichen begann, war mir aufgefallen, dass die Silhouette der Türme und Dächer verändert aussah. Nach einer Weile war ich darauf gekommen, dass der Turm von Sankt Ulrich nicht zu sehen war. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits hell genug, um die Trübnis zu bemerken, die sich außerhalb des Fensters zusammenzog. Der hohe Torturm beim oberen Graben folgte nach, danach verblasste Sankt Moritz und mit ihm die Dächer der
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