Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
Patrizierhäuser und Gebäude entlang des Weinmarkts. Der Perlach kämpfte eine Weile gegen die Bedeckung an und fügte sich erst, als schon bedeutend näher liegende Bauten verschwunden waren. Zuletzt legte sich der Nebel auf den Turnierplatz des Fronhofs. Vermutlich würden die guten Augsburger Bürger mit beklommener Überraschung in das Grau hinausstarren, wenn sie in wenigen Augenblicken erwachten, und ebenso vermutlich war ich – von den Nachtwächtern und der Besatzung der Stadttore abgesehen – der einzige Zeuge seines lautlosen Herankommens.
Mit anderen Worten: Ich hatte nur wenig Schlaf gefunden in dieser Nacht.
Ich spähte über meine Schulter zu der Truhe, die ich vor das breite Brett gezogen hatte und auf der eine Kerze brannte. Genauer gesagt spähte ich zu dem Brief, den ich zu verfassen versucht hatte, seit ich mir eingestanden hatte, dass es mit der Nachtruhe für mich erst einmal vorbei war.
Geliebte Jana.
Selten hatte ich ein derart dringendes Bedürfnis verspürt, einen Brief zu schreiben, und selten war er mir so widerstrebend von der Hand gegangen.
Die Klöster der Bettelorden begannen damit, die Prim zu läuten. Manches hatte sich nicht verändert seit meinem Weggang. Es war unmöglich zu sagen, welches der Klöster als Erstes sein misstönendes Glöckchen zu schlagen begann. Ich tippte auf Sankt Ursula, denn es hörte sich weit entfernt an, doch wie mir ein Mann in Venedig, der beinahe mein Freund geworden wäre, erklärt hatte, hört sich im Nebel alles so fern an, als käme es von jenseits der Erdscheibe. Ob die Benediktiner oder die Augustiner die Nächsten waren, die ihnen folgten, ließ sich ebenfalls nicht mit Sicherheit sagen. Fest stand nur, dass die Glocken des Doms als Letzte ertönten, die dicken Fensterscheiben meines Raums leicht zum Beben brachten und alle anderen Glockenschläge unter ihrem Hall begruben; auch dies hatte sich nicht verändert seit meinem Weggang.
Geliebte Jana.
Nach den Glocken kamen die irdischeren Geräusche. Ich hörte Hufgeklapper von Pferden, die ich nicht sehen konnte, und die Stimmen von Menschen, die mir verborgen blieben. Der Tjostplatz des Fronhofs war eine undeutliche, missfarbene Fläche in der Helle, und selbst wenn ich danach gesucht hätte, hätte ich das welke Kränzlein auf seinem Boden nicht mehr gefunden. Der Nebel reichte entweder so hoch, dass er fast die Sonne berührte, oder die gestrige Wolkendecke war nicht mehr aufgerissen. Ich hatte das Gefühl, dass es heute nicht mehr heller werden würde. Für die nächste Zeit jedenfalls würde Augsburg der Welt entrückt sein und die Geschehnisse in ihren Gassen den Augen ihrer Bewohner. Ich dachte an einen Mörder, der dort draußen umging und vielleicht überlegte, ob es noch ein günstigeres Umfeld für sein Treiben als diesen ganz und gar unzeitigen, unsommerlichen, unheimlichen, von dem krassen gestrigen Temperatursturz aus den Wassern getriebenen Nebel geben konnte.
Geliebte Jana,
ich bin wohlbehalten in Augsburg angekommen.
Das letzte Drittel des Satzes war ein wenig verlaufen. Es stand an einer Stelle, die ursprünglich geheißen hatte: in meiner alten Heimat. Ich hatte den Stein bemüht und die Buchstaben gelöscht.
Als ich den Brief angefangen hatte, hatte ich gehofft, er sei der beste Ersatz für das Gespräch mit meiner Gefährtin. Ihr Lächeln und ihre Nähe hätten es wahrscheinlich geschafft, dass es mir leichter gefallen wäre, darüber zu reden, was mich bewegte. Das unbewegliche Pergament vermochte dies nicht. Meine Feder machte sinnlose kleine Rucke darüber, ohne dass die nasse Spitze es berührte, und wenn doch, dann für ein einziges Wort, das mir falsch erschien, kaum dass es auf dem Pergament entstanden war.
Vieles hat sich verändert.
Wenn sie da gewesen wäre, hätte sie eine Augenbraue hochgezogen und gefragt: »Vieles?«, und ich hätte mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Alles.«
Natürlich, Peter, der Bischof ist nicht mehr da.
Es scheint, als sei ich weniger in der Stadt zu Hause gewesen als in meiner Aufgabe und in meiner Freundschaft zu Bischof Peter von Schaumberg, und da er nicht mehr ist, ist auch die Heimat nicht mehr.
Die Heimat ist immer da, wo dein Herz ist.
Liebe Jana, diesen Spruch hast du von mir.
Die seltenen Edelsteine einer Weisheit aus deinem Mund können nicht oft genug wiederholt werden.
(An dieser Stelle hätte sie so lange gegrinst, bis ich sie geküsst hätte. Stattdessen biss ich auf den Federkiel und wünschte,
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