Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
nur mühsam bezwang. Georg Hoechstetter teilte diese Einsicht nicht. Er strahlte.
»Und ich finde es auch«, fügte Karl Hoechstetter hinzu.
»Tatsächlich? Es wäre nicht schlecht, wenn ich dort Eindruck mache, oder? Vater wünscht, dass ich unseren Einfluss auf den Fondaco vermehre.«
»Das hast du richtig erkannt.«
»Aber wenn ich daherkomme wie ein Bauer ...«
»Es sind nicht die Kleider, die den Mann machen«, erklärte Hoechstetter, was angesichts seiner eigenen Ausstaffierung mehr als scheinheilig wirkte. Georg bemerkte auch das nicht.
»Das stimmt natürlich.«
»Du machst deine Sache hervorragend.«
»Sie werden mich dort willkommen heißen, oder?«
»Machst du Witze? Georg Hoechstetter der Dritte reist nach Venedig! Sie werden sich die Beine ausreißen. Der Mann, der das Haus Hoechstetter in Abwesenheit seines Vaters ganz allein führt. Der das Auge für die wesentlichen Dinge hat.«
»Ja, natürlich ... wenn du meinst ...« Der junge Mann errötete.
»Ist Lucia schon auf?«
»Ja, sie ist bei Jung-Georg.«
»Du kannst stolz sein auf deinen Sprössling. Wahrscheinlich wird es dir schwer fallen, ihn so lange allein zu lassen.«
»Ja, da hast du Recht. Wenn ich in Venedig bin ... bis ich zurückkomme, ist er wahrscheinlich schon so groß geworden ...«
Er deutete eine Höhe an, die ein zehnjähriger Knabe erreichen mochte, wenn er sich sehr streckte. Karl Hoechstetter lachte.
»Er ist erst ein Jahr. Wenn du zurückkommst, ist er eineinhalb. So schnell wächst nicht einmal dein Sohn.«
»Ja, aber ... ich glaube, ich sehe mal nach ihm. Wenn ich es recht bedenke, werde ich ihn fürchterlich vermissen, oder?«
Karl Hoechstetter nickte. Georg sah auf das Papier in seiner Hand nieder, als wisse er nicht recht, wie es dorthin gekommen war. Karl streckte den Arm aus, und Georg übergab es ihm. Er stand einen Moment unschlüssig da.
»Ich hole dich, wenn ich Hilfe brauche«, sagte Karl Hoechstetter.
Georg Hoechstetter nickte und klopfte ihm auf den Arm. Der ältere Mann zuckte schmerzlich zusammen; jede Berührung schien seine Gichtschmerzen zu erhöhen. Der älteste Sohn Ulrich Hoechstetters trollte sich. Ich richtete den Blick auf Karl Hoechstetter; soeben hatte ich unfreiwillig eine Lektion von einem Meister der Manipulation erhalten.
Karl Hoechstetter zerknüllte das Papier und warf es mit einer nachlässigen Geste in den leeren Kamin. Dann drehte er sich zu mir um.
»Ich möchte nur wissen, wo sich meine Tochter befindet. Wenn Sie ihren Witwenpfennig abholt, muss sie auch angegeben haben, wo sie lebt«, sagte ich.
Langsam ließ er sich wieder auf seinem Stuhl nieder. Seine Stimme war spöttisch, als er sagte: »Sie haben vergessen, dem Herrn des Hauses Ihre Anteilnahme auszudrücken.«
»Kommen Sie schon, wenn Sie eine Tochter hätten, würden Sie sich auch Sorgen machen.«
»Es gibt keinen Grund zur Sorge«, knurrte er. »Die Hinterbliebenen unserer Kaufleute werden großzügig unterstützt – und dürfen weiter die Gastfreundschaft des Hauses Hoechstetter in Anspruch nehmen.«
»Sie lebt nicht mehr in ihrem alten Haus und ebenso wenig in einem der anderen Häuser, die Ihrer Familie gehören.«
»Sicherlich hat sie niemand von dort vertrieben.« Er sahmich herausfordernd an. »Wenn sie von selbst weggegangen ist, trägt das Haus Hoechstetter dafür nicht die Verantwortung. Wir können es nicht verhindern, wenn eine Frau den Pfad der Ehrbarkeit verlassen will.«
Es fiel mir schwer genug, nicht darauf anzuspringen.
»Holt sie sich den Witwenpfennig selbst ab?«
»Das Geld wird von zuverlässigen Boten zu den Wohnorten der Empfänger gebracht.« Hoechstetter lächelte schwach. Seine Hand hatte wieder damit begonnen, sein rechtes Knie zu massieren.
»Wer nicht mehr dort anzutreffen ist, wo er sein sollte, bekommt auch nichts?«
Er nickte. »Wir können nicht auch noch in den Winkelhäusern suchen, um den Weibern das Geld hinterherzutragen.«
»Sie gehen recht freizügig mit Ihrer Meinung über die Kinder anderer Leute um«, erwiderte ich mit einem großen Maß an Beherrschung.
»Ich wünsche Ihnen, dass alle Mutmaßungen bezüglich dieser Frau unzutreffend sind.«
»Sie heißt Maria«, stieß ich hervor. »Menschen haben Namen. Maria Bernward, die Witwe von Johannes Kleinschmidt.«
Seine Augenwinkel zuckten. Wahrscheinlich hatte seine Hand wieder eine empfindliche Stelle an seinem Knie berührt. Doch sie lag ganz still.
»Das fällt nicht in meine Zuständigkeit«, schnappte
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