Das Spiel des Saengers Historischer Roman
besuchte sie in meinem Gemach. Die Äbtissin hatte sie wohl aus ihrem Futteral genommen, aber nicht beschädigt. Das beruhigte mich, denn sie war ein wertvolles Instrument und mit großer Kunstfertigkeit hergestellt. Ich stimmte die Saiten, spielte leise ein paar Läufe darauf und legte sie zurück in ihr Behältnis. Dann brachte ich sie in Ulrichs Gemach und schob sie dort unter das hohe Bett. Sollte die ehrwürdige Mutter ihre Abwesenheit bemerken und sie nochmals bei mir suchen, würde sie sie nicht so schnell wiederfinden.
Um irgendwelche Aufgaben drückte ich mich in bewährter Manier an diesem Nachmittag. Ich hatte keine große
Lust, mit irgendwelchen missgünstigen Gestalten Wasser zu schleppen oder beim Holzhacken bohrende Fragen zu beantworten. Ich steckte meine Flöte ein und schlenderte zum Obstgarten unten am Palas. Hier war es ruhig, nur die Bienen summten geschäftig über den Blüten der Himbeerund Brombeersträucher, und Schmetterlinge tanzten über den weißen Dolden des Holunders. Das Gras unter den Bäumen war weich, von der Sonne warm und duftend. Lieber wäre ich im Lindenhain gewandert, doch auch hier hatten sich unzählige Vögel auf den schwankenden Zweigen niedergelassen und trillerten ihre Liedchen mit mir zusammen.
Und dann fand ich sie.
Schlummernd unter dem Kirschbaum, ein halb gefüllter Korb mit den ersten reifen Früchten darin. Der grau gewaschene Kittel, den sie zur Arbeit trug, hatte einige rote Flecken bekommen, ihre Finger, gefaltet auf ihrer Brust, waren schwärzlich von Obstsaft. Sie hatte die Holzpantinen ausgezogen und ihre Füße zierlich gekreuzt. Das Tuch, mit dem sie tagsüber ihre Haare bedeckte, war verrutscht, und silbrig schimmerten die Strähnen, die sich aus ihren Zöpfen gelöst hatten, im Sonnenlicht.
Behutsam kniete ich neben ihr nieder. So zart war ihre Haut, leicht gerötet, ihre Lippen ein wenig geöffnet, der Fächer ihrer Wimpern lag ausgebreitet auf ihren Wangen. Ihr Busen hob und senkte sich unter den ruhigen Atemzügen, und mir wurde beinahe schwindelig bei dem Gedanken, ihn mit meinen Fingerspitzen zu kosen. Verdammter Ismael - was hatte er mir für Bilder von festen, jungen Äpfeln in den Kopf gesetzt. Solche Spielchen, wie er sie trieb, waren leichtfertigen Maiden wie Ännchen überlassen.
Manneszucht, Hardo, Manneszucht!
Es half nicht viel, doch ich bezähmte mich und beugte mich nur über sie, um ihre Lippen mit den meinen zu berühren. Sie schnurrte leise, und ich strich ihr die Locken aus dem Gesicht. Träge öffnete sie die Lider, und ich flüsterte ihr zu:
»Wohl mir heut und immermehr, ich sah ein Weib,
deren Mund von Röte brannt wie feurig Zunder,
der ihr wohl lieblich minniglicher Leib,
hat mich in den Kummer bracht;
Von der Minne Wunder
an ihrer Schöne Gott hat nichts vergessen.
Ist es recht, wie ich es kann ermessen,
so hat sie eine rote Ros’ gegessen.« 14
Die rote Rose brannte auf meiner linken Wange, von ihrer rauen Hand gepflanzt.
Das Opfer war gebracht.
Wunden und Narben
Unzufrieden mit sich selbst strolchte Engelin über das Gras des Zwingers und wandte sich dann kurzentschlossen zu den Pferdeställen. Ihre weiße Stute gab einen freudigen Laut von sich, als sie zu ihr trat und ihr einen der schrumpeligen Äpfel aus der Vorratskammer reichte.
»Es macht uns alle kratzborstig, hier eingesperrt zu sein«, murmelte sie dem schönen Tier ins Ohr. »Nur du bist so geduldig. Obwohl du bestimmt lieber auf der großen Weide vor der Burg herumwandern würdest.«
Ihr Pferd schnaubte ihr liebevoll ins Haar.
»Ich hätte ihn nicht gar so fest ohrfeigen müssen. Warum reizt er mich nur immerzu?«
Sie umarmte den Hals der freundlichen Stute.
»Immer raunt er mir mit seiner rauen Stimme liebliche Worte zu. Und immer schaudert es mich vor Wonne. Wenn ich ihm doch nur trauen könnte. Ja ja, Casta hat recht, ich bin noch immer in ihn verliebt. Oder gar schlimmer noch - ich
verzehre mich vor Sehnsucht nach ihm wie in jenen Tagen, als wir gemeinsam am Herd der geizigen Witwe schliefen. Er war gut zu mir, das weiß ich jetzt. Er hat Rücksicht genommen auf meine Unschuld. Aber er hat mich dennoch harsch zurückgestoßen, mit anderen gebuhlt.« Sie schniefte in die Mähne des geduldigen Zelters. »Jetzt tändelt er mit mir und neckt und foppt mich, und ich weiß nicht, woran ich bin. Bin ich ihm lästig? Ein Kind, so wohlgetan? Sieht er nicht die Frau in mir? Was für ein Spiel treibt er nur?«
Das weiche Maul des Pferdes knabberte an
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