Das Spiel des Saengers Historischer Roman
ihrer Schulter.
Engelin dachte an den jungen Handelsgehilfen, mit dem sie vor zwei Jahren ein paarmal im Warenlager getändelt hatte. Es war mehr Neugier gewesen als Liebe, sie hatte endlich wissen wollen, wie es war, geküsst zu werden. Mehr nicht, nein, aber sie hatte einiges bei diesen heimlichen Treffen gelernt. Der junge Mann war sehr leidenschaftlich gewesen und hatte auch süße Gefühle in ihrem Leib geweckt. Aber nur dort. Ihr Verstand war kühl geblieben, ihr Herz ungerührt. Und darum hatte sie, als sie einmal beinahe entdeckt worden waren, die Zusammenkünfte ohne Bedauern eingestellt.
Seither aber wusste sie, dass Hardo ihr Herz berührt hatte und sie schier um den Verstand brachte. Der Himmel mochte wissen, was er in der Lage wäre, mit ihrem Leib anzurichten.
»Ich weiß, ich weiß, er ist nicht der Mann, den mein Vater für mich wählen würde«, vertraute sie den Pferdeohren an. »Ein fahrender Sänger, so ruhmvoll wie auch immer, ist nicht der rechte Schwiegersohn für einen Kölner Ratsherrn und reichen Fernhändler. Ich müsste mit ihm ziehen - verdammt, ich würde mit ihm ziehen, wohin er seine Schritte auch lenkt.«
Sie streichelte traurig die weiche Nase des frommen Tieres und lehnte sich dann an den warmen Pferdeleib. Doch gleich darauf zuckte sie zusammen, als sie erkannte, dass sie sich nicht alleine im Stall befand. Ein paar Schritte von
ihr entfernt stand der Ritter neben seinem großen, schwarzen Ross und schien ebenso wie sie Zwiesprache mit dem Tier zu halten.
Ein aufsässiger Funke entzündete sich in Engelin. Bisher hatte sie noch keine einzige Gelegenheit gehabt, sich mit Ulrich von der Arken zu unterhalten. Er verschanzte sich vor den Anwesenden höchst gekonnt hinter seinen Aufgaben und selbst gewählten Pflichten.
Sie tätschelte noch einmal ihren Zelter und näherte sich dann dem Ritter, der sie bisher noch nicht bemerkt zu haben schien.
»Herr Ulrich?«
Tatsächlich schreckte auch er überrascht zusammen.
»Wohledle Jungfer! Sorgt Ihr Euch um das Wohlergehen Eures Pferdes?«
»Ein wenig, obwohl es gut gepflegt wird. Aber wie wir alle sehnt es sich nach Bewegung und Freiheit. Wann, Herr Ulrich, werdet Ihr das Tor wieder öffnen lassen?«
»Wenn meine Fragen beantwortet sind.«
»Eure Fragen. Was sind Eure Fragen denn? Können die nicht auch beantwortet werden, wenn sich die Pferde auf den Weiden tummeln?«
»Nein, wohledle Jungfer, das können sie nicht.«
»Seid Ihr immer so hart und streng zu aller Kreatur, Herr Ulrich?«
Engelin beobachtete, wie ein freudloses Lächeln über die unverletzte Gesichtshälfte huschte. Ein dunkler Mann, ein herber Mann, ein Mann von Macht und Autorität, der auf dem Schlachtfeld den Feinden getrotzt hatte. Er verbreitete Düsternis um sich, die nicht nur aus der Vertrautheit mit dem Tod stammte.
»Was, Jungfer Engelin, glaubt Ihr wohl, was geschehen würde, wenn ich das Burgtor öffnen ließe?«, fragte er sie ruhig.
»Der Mörder des Burgvogts würde entfliehen. Wenn es denn einen Mörder gab.«
»Ihr glaubt nicht daran, Jungfer?«
Sie schnaubte leise.
»Ich war im Bergfried. Mein Vater hielt sich ebenfalls dort auf. Wir beide haben niemanden gesehen, der den Sigmund hätte hinabstoßen können. Und, Herr Ritter, ich weiß, dass mein Vater es nicht tat.«
»Ja, ich auch.«
Überrascht sah sie ihn an.
»Also - warum haltet Ihr uns denn dann noch gefangen?«
»Ich habe meine Gründe dafür, Jungfer Engelin. So leid es mir tut, Ihr werdet diese Gefangenschaft noch eine Weile ertragen müssen.«
Engelin musterte ihn mit leicht schief gelegtem Kopf. Sie war nicht so töricht, dass sie dem Ritter vor sich reine Willkür unterstellte. Er hatte gute Gründe für sein Tun. Und in Windeseile fielen ihr einige der Dinge ein, die am Morgen bei dem Tribunal gesagt worden waren.
»Es geht gar nicht um den Vogt, nicht wahr, Herr Ulrich?«
»Nicht nur um ihn geht es, da habt Ihr recht.«
»Es geht um den Tod des Burgherrn, den Ihr einst aufklären solltet, stimmt’s?«
Der Ritter sah sie ernst und mit neuer Aufmerksamkeit an.
»Ja, wohledle Jungfer, darum geht es.«
»Und dass Hardo nicht der Sohn eines Mörders ist. Ich fange an, das zu verstehen, Herr Ulrich.«
»Dann versteht Ihr auch, warum ich das Tor geschlossen halte.«
»Vermutlich müsst Ihr es tun, wenn Ihr glaubt, dass sich der wahre Mörder oder jemand, der die Wahrheit kennt, hier in den Mauern befindet.« Sie sah ihn nachdenklich an. Mochte sie Hardo auch grollen,
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