Das Spiel des Saengers Historischer Roman
Lager aufzusuchen. Er sagte sich selbst, dass er besser noch mal nach den Pferden schauen sollte, und so lenkte er seine Schritte zu den Stallungen im Zwinger.
Die Pferde waren wohl versorgt, natürlich.
Aber als er sich, einem Instinkt folgend, dem Obstgarten näherte, um dem lieblichen Gesang einer Nachtigall zu lauschen, da drang ein leise erhofftes Wispern an sein Ohr.
»Ismael?«
Oben aus dem Fenster der Kemenaten winkte eine zarte Frauenhand.
Er winkte zurück.
Und wartete.
Nicht lange wurde seine Geduld auf die Probe gestellt; schon wenige Augenblicke später huschte eine zierliche Gestalt in einem weißen Hemd, über das nur flüchtig ein Tuch geworfen war, zwischen den Bäumen auf ihn zu. Kein Gespenst, wie es hätte scheinen mögen, sondern Ännchen, mit gelösten Haaren und einem einladenden Lächeln auf den Lippen.
Er nahm die Einladung willig an, und unter den grünenden Apfelbäumchen widmete er sich noch einmal den jungen, festen Früchten.
Dann aber war ihr beider Hunger gesättigt, und Ännchen schlüpfte zurück in den Palas. Er selbst machte noch einmal einen Abstecher in die Kapelle. Es fiel nur wenig Mondlicht durch die Fenster, aber dennoch bemerkte er, dass der Altar ein kleines Stückchen verschoben worden war. Andere Spuren aber gab es nicht.
Beunruhigt suchte er sein hartes Lager auf, nur um festzustellen, dass seine beiden Freunde schon fest schliefen.
Er überlegte, ob er sie wecken sollte, ließ es nach kurzer Überlegung jedoch bleiben. Denn entweder war jemand mit Hilfe eines Komplizen geflohen, dann müssten sie die ganze Belegschaft aufscheuchen, oder es hatte sich nur jemand nach dem Eingang umgeschaut, um seine Flucht zu planen. Derjenige aber würde gewarnt sein, wenn er jetzt Alarm schlug.
Bei der Morgenandacht würde sich zeigen, ob einer der Besucher verschwunden war.
Es hatte keiner gefehlt, wie sich zeigte, und darum stieg seine Unruhe.
Puckls und Dietrichs ebenfalls.
Sie waren ihren Pflichten nachgegangen, Puckl über seinen Büchern, Dietrich in den Ställen, er selbst im Rittersaal, wo zu fegen war und die Kerzen in den Leuchtern und die Fackeln erneuert werden mussten. Aber alle drei hielten sie ein Auge auf die Kapelle, und just als Ismael den Kehricht zu einem Haufen zusammengefegt hatte, kam Puckl vor Aufregung schnaufend in den Saal gehetzt.
»Ismael, da stimmt was nicht!«
»Was?«
»Engelin ist weg!«
Ismael warf den Besen hin.
»Wo hast du sie zuletzt gesehen?«
»Sie wollte Blumen binden, für die Kapelle.«
»Heiliger Laurentius auf dem Bratrost! Warst du in der Kapelle?«
»Ja, und da sind seltsame Spuren.«
»Such Dietrich! Könnte bei den Pferden sein.«
Dann rannte Ismael los, hielt aber in seinem Lauf inne, als er den Burghof erreichte, und schlenderte betont langsam zu dem Kirchlein. Im ersten Augenschein wirkte alles unberührt, doch dann sah auch er einige feuchte, sandige Fußspuren hinter dem Altar.
Dietrich trat ein, gefolgt von Puckl.
»Mein Herr ist nach der Andacht mit dem Kaplan hier in der Kapelle geblieben«, sagte der Knappe und musterte die Abdrücke auf dem Marmorboden. »Vielleicht stammen die Spuren von ihnen.«
»Ich weiß nicht, Dietrich. Engelin wollte die Heiligen mit Blumen schmücken. Die Blumen sind noch da, siehst du, aber einfach in die Krüge gestopft. So würde sie es nie machen«, gab Puckl zu bedenken.
»Nein, das würde sie nicht. Sie ist sorgfältig in solchen Dingen. Hier ist etwas passiert.«
»Aber sie wird doch nicht die Burg durch den Gang verlassen haben?«
»Nein, das würde mich sehr wundern. Ich glaube nicht, dass sie etwas von dem Gang weiß.«
»Dann hat sie jemand mitgenommen?«
»Das wäre verrückt!«
»Als Geisel?«
Unbehagen verkrampfte Ismaels Eingeweide.
»Sucht ihr Engelin, ich suche meinen Meister.«
Sie verteilten sich, und Ismael fragte als Erstes den Domgrafen, der im Kräutergarten irgendwelche Stauden aufband. Gottfried von Fleckenstein sah ihn freundlich an.
»Ich sah ihn vorhin gerüstet für ähnlich irdische Arbeiten wie diese hier. Ich meine vernommen zu haben, dass Frau Ida ihm riet, im Lichhof das Unkraut zu entfernen, mein Junge.«
Ismaels Unbehagen wuchs ins Unermessliche, als er den umgestürzten Korb und die Hacke fand, nicht aber Hardo. Er trabte zur Unterkunft zurück, wo sich kurz darauf auch Dietrich und Puckl einfanden.
»Der Kaplan ist noch da und alle anderen auch.«
»Nur Engelin ist verschwunden. Fräulein Casta hat mich nämlich
Weitere Kostenlose Bücher