Das Spiel des Saengers Historischer Roman
Priester geweiht, stand aber selten am Altar. Er war für die Verwaltung der Pfründe seines Bistums zuständig und weit mehr an rechtlichen Fragen interessiert als an kirchlichen Ritualen. Dennoch entledigte er sich der Aufgabe mit Anstand und vornehmer Haltung.
Niemand fragte nach dem Verbleib des Kaplans.
Nach dem letzten Amen aber trat Ulrich wie üblich vor und machte den Anwesenden diesmal die Mitteilung, dass der Tod des Burgvogts Sigmund aufgeklärt sei.
»Aber es stehen noch einige Fragen an, auf die ich und Hardo von Langel Antworten hören wollen. Darum werde
ich das Gericht erst am morgigen Tag halten. So lange bleiben die Tore der Burg noch geschlossen.«
Es war ein Raunen, das die Kapelle erfüllte. Unwillig, hoffnungsvoll, ängstlich, protestierend.
Aber niemand erhob einen Einwand.
Ich bat Ismael, ein wenig auf Engelin aufzupassen, nicht so viel, dass es ihr lästig würde, aber so, dass er möglichst in ihrer Nähe blieb. Dann half ich Ida, einige Säcke aus den Vorratsräumen zu holen, und fand dabei Gelegenheit, meiner Herrin einen heimlichen und daher sehr süßen Kuss zu schenken. Sie flüsterte mir zu, sie habe Neuigkeiten für mich.
»Die Äbtissin hat dem Stiftsherrn die Lippe aufgeschlagen!«
»Autsch! Heilige Apollonia von den Zahnschmerzen.«
Engelin kicherte, warf einen verschwörerischen Blick um sich, ob auch niemand zuhörte, und zischelte dann: »Sie glaubt, dass du Anspruch auf das Lehen erhebst.«
Ich schüttelte nur den Kopf. Mehr erklären konnte ich ihr im Augenblick nicht, denn in der Küche war am Vormittag zu viel Betrieb und zu viel zu tun, als dass wir Zeit für ein vertrauliches Plaudern gefunden hätten. Ich entzog mich der Geschäftigkeit, um das zu beenden, wozu ich am Tag zuvor nicht gekommen war - ich rupfte Unkraut im Lichhof und ließ meine Gedanken auf Wanderschaft gehen.
Die Macht des Geldes
Ismaels Aufgabe an diesem Morgen war es, sich um die Weinvorräte zu kümmern. Frau Ida hatte einen Würzwein angesetzt, und er füllte nun die Krüge für den Abend aus dem Fass ab. In der großen Küche wurde eifrig gearbeitet, Engelin und Casta, Jonata und sogar Loretta werkten an den
Tischen und Feuerstellen, kneteten und rührten, hackten und walkten. Mit einem Seitenblick aber bemerkte Ismael, dass die Hofdame sich doch gerne vor den schmutzigeren Arbeiten drückte. Sie zupfte etwas umständlich Kräuter vom Stängel, und ein leichter Minzduft verbreitete sich im Raum. Irgendwann bat sie ihn dann um einen der Krüge, die er bereits abgefüllt hatte, verrührte ihre grüne Paste in dem Wein und forderte die anderen auf, davon zu kosten.
»Das ist eine Rezeptur meiner Mutter«, verkündete sie und reichte Becher herum, in denen die aromatischen Blättchen schwammen. Es schmeckte tatsächlich ganz gut, stellte Ismael fest und kümmerte sich nicht weiter darum. Er nutzte die Gelegenheit, einen wohlgefüllten Weinkrug ungesehen auf die Seite zu schaffen, um ihn für sich und seine beiden Freunde abzuzweigen.
Das Vorhaben gelang reibungslos, und mit dem requirierten Krug eilte er zu ihrer Unterkunft, um ihn hier zum späteren Genuss abzustellen. Als er wieder auf den Hof trat, kam Puckl von der Stiege des Bergfrieds gepoltert, sah ihn und stürzte winkend auf ihn zu.
»Ismael, hilf mir. Mein Herr - er ist so wütend. Es wird ein Unglück geschehen!«
»Wo?«
»Oben, in der Kammer. Der Stiftsherr ist bei ihm.«
Ismael folgte dem aufgeregten Secretarius und hörte schon an der Steintreppe nach oben das Gebrüll.
»Ihr seid ein rückgratloser Molch! Ihr seid nichts anderes als ein lästiges Ungeziefer. Und Euer Erzbischof ein geldgeiler Kohlkopf. Es gibt keinen Heller über die bisher gezahlte Summe hinaus, bis die Angelegenheit hier zu meinen Gunsten geklärt ist, verstehen wir uns, Euer Schleimigkeit?«
»Aber wohledler Herr, Ihr müsst doch verstehen …«
»Ich soll was verstehen?«
Nicht ganz glücklich, von Puckl in einen Streit mit den Herrschaften gezogen worden zu sein, trat Ismael in die Kammer. Puckl hielt sich dabei hinter seinem Rücken, denn
Hinrich van Dyke war rot im Gesicht und sprühte geradezu vor Zorn. Der Stiftsherr, einen halben Kopf kleiner, hing mehr in seinem grauen Talar als dass er stand. Rückgratlos war die passende Bezeichnung für ihn.
Für einen Moment wollte auch Ismael auf dem Fuße kehrtmachen und Hardo zu Hilfe holen. Aber dann schnaufte er tief durch und straffte die Schultern. Kaltblütig bleiben wie der Meister und
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