Das Spiel des Saengers Historischer Roman
fernzubleiben.«
»Was für ein Trost.«
»Find ich schon«, gähnte Engelin und gab sich süßen Träumen von Linden und Tanderadei hin.
Der siebte Tag
Glück, das geht gar auf und ab:
Man findet’s leichter, als man es halte.
Es wendet sich, wenn man’s nicht wohl versorget.
Wen es beschweren will, dem gibt es vor der Zeit.
Und nimmt auch vor der Zeit, was es ihm leiht.
Zum Toren macht es, wem es zuviel geborget. 18
Flucht im Morgengrauen
Ich wurde im Morgengrauen wach, und sofort überschwemmte eine Flut von Gedanken mein Hirn. An Weiterschlafen war nicht zu denken. Darum zog ich mich an und ging leise nach unten. Die Burgbewohner schlummerten alle, selbst die Hühner steckten noch ihre Köpfe ins Gefieder, und nur ein verwegener kleiner Vogel saß trillernd auf dem Brunnen. Ich erklomm die Stiege zum Wehrgang und wanderte Richtung Torhaus. Das Gewitter hatte Feuchtigkeit hinterlassen, dichter Nebel lag über Land und Strom. Auf dem Turm neben dem Tor blieb ich stehen und blickte zum Lindenhain. Zart hing der Duft von Blüten im Dunst, doch zu erkennen waren nur die Wipfel der ersten Bäume nahe der Mauer. Für einen friedlichen Moment gab ich mich der köstlichen Erinnerung an den vergangenen Nachmittag hin. Meine süße Herrin lag auch noch in den Federn, und sehnsüchtig dachte ich daran, wie entzückend es wäre, sie jetzt mit einem verspielten Herzen und Kosen zu wecken.
Doch dann mahnte ich mich wieder zur Zucht. Die stille Morgenzeit war der rechte Augenblick, in Ruhe über die kommenden Ereignisse nachzusinnen.
Kühl war es geworden nach der Schwüle des vergangenen Tages, und das machte meinen Kopf frei dafür, eine Bilanz zu erstellen - genau wie ich es gelernt hatte, meine Geschäfte zu ordnen, die Ausgaben und die Einnahmen einander gegenüberzustellen, die Verpflichtungen zu überprüfen, die ich eingegangen war, und jene abzuwägen, die man mir gegenüber hatte. Vor allem aber galt es, genau wie in den Geschäften, Risiken abzuwägen und Verbindungen herzustellen zwischen dem, was die einen wollten, die anderen konnten und dem, was ich bereit war zu geben oder zu nehmen.
Es ähnelten sich meine beiden Professionen, das hatte ich schon bald bemerkt. Auch ein Geschichtenerzähler und Sänger hatte Ordnung zu halten, wenn er seine Mär den Zuhörern verständlich darstellen wollte. Als Erzähler hielt man alle Fäden in der Hand, wusste, wie sie verknüpft waren, welche abgeschnitten werden mussten, welche sich bis zum Ende durchzogen - und vor allem kannte man den Leitfaden, um den sich alle anderen wanden.
So lernte man, komplizierte Handlungen zu behalten, sie dem jeweiligen Publikum anzupassen, die Spannung aufzubauen oder zu dämpfen, Geheimnisse zu wahren oder zu offenbaren und schließlich alles zu einem furiosen Ende zu führen.
Bei Geschichten, die bereits seit Jahren und Jahrzehnten wiederholt wurden, war das einfach und bedurfte lediglich eines guten Gedächtnisses. Bei der meinen aber versagte diese Regel. Denn ich kannte das Ende nicht, und die zahllosen Fäden in meiner Hand schienen an vielen Stellen noch lose herunterzuhängen.
Es war an der Zeit, Verknüpfungen herzustellen.
Ich glaubte nun nicht mehr an den Zufall, der uns hier auf der Burg zusammengeführt hatte. Ulrich hatte mit
Überlegung ganz bestimmte Leute eingeladen, doch auch er konnte noch nicht wissen, wie ihre Schicksale miteinander verflochten waren. Immerhin hatte er einen guten Instinkt bewiesen.
Der Tod des Burgherrn und die falsche Beschuldigung meines Vaters waren der Ausgangspunkt gewesen. Seinen Mörder hatten wir entdeckt, das falsche Spiel des Pächters entlarvt. Doch es blieben Mitwisser übrig, die Schuld an dem einen wie dem anderen Ereignis trugen. Sie alle hätten meinen Vater vor dem Galgen retten und möglicherweise den Vogt seiner gerechten Strafe überführen können.
Es war müßig, über das Warum zu grübeln - in die Köpfe der Menschen schaute man nicht. Was man aber sah, waren ihre Beziehungen untereinander.
Sigmund, der Mörder, war mit Ida verheiratet und hatte Jonata zur Tochter. Sie hatte er zwei Jahre nach dem Tod Eberharts mit Cuntz, dem Pächter, getraut, obwohl sie einen Mann höheren Standes hätte ehelichen können.
Ein Teil des Handels um den Verrat?
Margarethe, die Gemahlin des Ermordeten, hatte die Burg verlassen, um in das Kloster einzutreten; ihr Sohn Karl legte das Schweigegelübde ab. Doktor Humbert, der Bruder des Toten, weigerte sich, das Lehen zu
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