Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen
hatte. Ich ziehe die Unterhose runter, setze mich auf die Toilette und stütze zum millionsten Mal in dieser Nacht den Kopf in die Hände. Jetzt bin ich also das » Opfer « . Was soll das eigentlich heißen? Werde ich wieder herumgestoßen, so wie von den Keuschheitsanhängern? Oder kratzen sie mir die Augen aus, wie die Prostituierten es mir angedroht haben? Machen sie mich so fertig, dass ich mich hinterher noch wertloser und schuldiger fühle als nach dem Streit mit Syd und Tommy? Ohne es verhindern zu können, fange ich an zu weinen.
Aber schon kurz darauf balle ich wieder die Fäuste. Sonst noch was? Das Letzte, was ich brauchen kann, ist, dass Micki hier reinplatzt und mich heulend vorfindet. Wird man hier drin eigentlich auch gefilmt? Oh verdammt! Meine Eingeweide verkrampfen sich bei dem Gedanken daran, dass es natürlich auch hier Kameras geben kann. Ich suche die Decke ab, ohne welche zu entdecken, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht versteckt in der Wand eingebaut sein können. Warum habe ich daran nicht gedacht, bevor ich aufs Klo gegangen bin? Wie viel hat das Publikum gesehen? Das Publikum, das keine Lust hatte, mich aus einem stockfinsteren Raum voller Abgase zu retten.
Ich verrenke mich, um den Slip unter meinem Rock möglichst so hochzuziehen, dass man nichts sehen kann, betätige die Spülung und wasche mir die Hände. Aus dem Spiegel sehen mich blutunterlaufene, wimperntuscheverschmierte Augen an. Deshalb hat Gayle also vorhin gesagt, ich würde mich vielleicht noch mal frisch machen wollen. Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, das zwar gegen die roten Augen hilft, dafür aber auch noch die letzten Make-up-Reste abwäscht und mich vollends wie die brave Elftklässlerin aussehen lässt, über die sich Ian vorhin lustig gemacht hat. Ich könnte mir den Kosmetikbeutel von drinnen holen und versuchen, wenigstens das Schlimmste zu kaschieren oder mich mit viel Mühe sogar ganz neu herrichten, aber das ist wahrscheinlich genau das, was Risk will, also lasse ich es.
Es klopft an die Tür. » Beeil dich, ich muss auch! « , jammert Daniella mit ihrer hohen Stimme.
» Mach dir nicht in den Tanga, ich komm ja gleich « , erwidere ich. Meine Stimme klingt rau, aber ich spüre, wie meine Kraft zurückkehrt. Ich hole tief Luft, reiße die Tür auf und sehe Daniella beim Rausgehen böse an. Auch die anderen– außer Ian– bedenke ich mit wütenden Blicken, lasse mich auf meinen Platz fallen und verfluche ihn im Stillen, als er sofort wieder anfängt zu wippen.
» Hat da etwa jemand geheult? « , lacht Micki.
» Halt die Klappe! « , erwidere ich. » Ich bin müde. «
Micki fährt mit der flachen Hand über die Spitzen von Jens Iro. » Na klar, ist ja auch bestimmt längst Schlafenszeit für dich. «
» Je heftiger du auf sie reagierst, desto mehr bearbeitet sie dich « , flüstert Ian. » Konzentrier dich auf mich. Wir beide werden hier als Gewinner rausgehen. Stell dir einfach vor, wie wir feiern, wenn das alles hier vorbei ist! «
Während ich ihm zuhöre, sehe ich durch den Glastisch auf den roten Teppich, dessen gewundenes Muster auf einen Punkt genau unterhalb des Tischs zuläuft. Die Wirbel und Kreise scheinen meinen Blick mit in den Strudel zu ziehen.
Als die Tür hinter uns klickt, schrecke ich auf.
Daniella kommt aus dem Bad und hat sich die Lippen frisch mit signalrotem Lippenstift nachgezogen, mit dem sie den antiken Huren ernsthafte Konkurrenz hätte machen können. Der Duft eines schweren Parfums erfüllt den Raum und verursacht mir einen stechenden Schmerz zwischen den Augen. Selbst Risk hätte keinen effektiveren Angriff auf unseren Geruchssinn planen können.
Ich nehme wieder meine intensive Betrachtung des Teppichmusters auf. Irgendetwas daran stört mich. Genau in der Mitte unter dem Tisch entdecke ich konzentrische Ringe, die aus dunkleren Punkten zusammengesetzt scheinen. Ich beuge mich vor, um sie besser sehen zu können, und lege dabei die Arme leicht auf den Tisch, damit er nicht ins Schwingen gerät.
Die Bildschirme piepen, und Guy sagt: » Ihr seid die letzten Spieler in der großen Preisrunde. Die Augen sämtlicher Beobachter sind auf diesen Raum gerichtet! «
Jen und Micki winken in die Kameras, während ich nur den Wunsch verspüre, wieder aufs Klo zu gehen. Warum zeigen die Moderatoren ihre Gesichter nicht mehr? Es ist unheimlich, nur ihre Stimmen zu hören.
» Daniella, mach den grünen Schrank auf! « , befielt Gayle jetzt.
Daniella springt auf und
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