Das Spiel
keine Zeit zu verschwenden.
»Harris ...« Cheese fragt zum dritten Mal. »Sagen Sie mir, wo es passiert ist.« »Hören Sie, überstürzen Sie nichts ...« »Wo ist dieser verdammte Unfall passiert?« »Unten ... in New Jersey. Am Strip Club.« »Cheese, hören Sie genau zu: Sprechen Sie mit keinem darüber. Das ist kein Büroklatsch. Hier geht es um einen Freund, kapiert?«
Bevor er antworten kann, unterbreche ich die Verbindung, biege um die Ecke und laufe schneller. Ich fange sogar an zu rennen, bis ich schließlich sprinte. Meine Krawatte flattert über meiner Schulter im Wind. Wie eine Schlinge um meinen Hals. Soviel Glück habe ich nicht!
***
Nachdem ich die Überführung der New Jersey Avenue überquert habe, sehe ich die rotierenden Lichter in der Ferne. Als ich bemerke, daß sie gelb sind statt blaurot, weiß ich, daß ich zu spät komme. Auf dem Kies einer Auffahrt schlägt die Fahrertür eines Tiefladers zu, und der Motor heult auf. Auf der Ladefläche des Trucks steht ein schwarzer Toyota mit einer verbeulten Frontpartie. Der Fahrer gibt Gas, und der Lastwagen fährt Richtung Südosten.
»Warten Sie!« schreie ich und hetze hinter dem Wagen her. »Bitte, warten Sie!« Ich habe keine Chance. Die Vorderseite des Toyota starrt mich vom Tieflader aus an.
Ich laufe, so schnell ich kann, den Blick auf den Kühlergrill gerichtet. Er scheint mich mit seinem albernen Clownsgesicht zu verhöhnen. Es sieht aus wie ein höhnisches Grinsen, und auf der Fahrerseite ist er stark eingebeult, als wäre er gegen etwas geprallt. Dann sehe ich den dunklen Fleck am unteren Rand des Grills. Nicht gegen etwas. Gegen jemanden.
Matthew...
»Warten Sie ... Halt!« Ich schreie, bis mein Hals brennt. Das kann mich nicht von dem eigentlichen Schmerz ablenken. Das vermag gar nichts. Er sitzt wie ein Korkenzieher in meiner Brust, der mit jeder Sekunde stärker anzieht. Ich laufe immer noch, so schnell ich kann, und sehe mich dabei um, suche nach etwas ... irgend etwas, das es mir begreiflicher machen könnte. Meine Zehen sind verkrampft, und meine Füße brennen, und der Korkenzieher wird immer schmerzhafter.
Der Lastwagen stößt eine dunkle Abgaswolke aus und verschwindet. Mir geht die Puste aus, kurz hinter dem Kiesweg, wo der Abschleppwagen den Toyota aufgeladen hat.
Vor zwei Wochen ist ein siebzehnjähriger asiatischer Botenjunge das Opfer eines Autounfalls mit Fahrerflucht geworden, nur wenige Blocks von meiner Wohnung entfernt. Die Polizei hat sechs Stunden lang den Unfallort abgesperrt, um Lackproben von den Fahrzeugen zu nehmen, mit denen der Unfallwagen kollidiert ist. Ich bin schweißüberströmt und bücke mich, um Luft zu holen. Als ich die Straße betrachte, sehe ich nirgendwo Absperrband der Polizei. Wer auch immer diesen Tatort bearbeitet hat und wer hinterher aufgeräumt hat ... hat alle Antworten gefunden, die er brauchte. Keine Verdächtigen, keine offenen Fragen. Kein Grund, sich den Kopf zu zerbrechen.
Ich bin benommen und trete einen Kieselstein von der Straße weg. Er springt über den Bürgersteig und landet in der Gosse, unmittelbar vor dem Telefonmast. An dessen Fuß liegen Glassplitter von den Scheinwerfern und ein paar Grasbüschel, wo sie den Wagen herausgezogen haben. Ansonsten ist der Mast unberührt. Ich lege den Kopf in den Nacken.
Ich verfolge die Spur zurück. Es ist nicht schwierig. Reifenspuren auf dem Kies zeigen mir, wo die Räder des Toyota angefangen haben durchzudrehen. Von dort ist es eine gerade Strecke die Auffahrt hoch. Sie endet am Müllcontainer.
Ich trete noch einen Kiesel durch den Kies, und als er gegen den Container prallt, klingt es merkwürdig hohl. Der Container ist leer.
Im unteren Rand des Containers ist eine Delle und darunter eine dunkle Pfütze. Ich will nicht hinsehen, aber ... ich muß es einfach tun. Ich senke das Kinn und schaue zögernd hin. Eigentlich erwarte ich eine rote Pfütze, wie in irgendeinem schlechten Actionfilm, doch sie ist schwarz, ein einziger schwarzer Fleck. Das ist alles, was übriggeblieben ist.
Mein Magen dreht sich. Ich wehre mich gegen das Erbrechen. Erneut scheint mein Kopf von meinen Schultern zu schweben, und ich stolpere zurück, kämpfe um mein Gleichgewicht. Ich schaffe es nicht, lande auf meinem Hintern, und meine Hände gleiten über die Kieselsteine. Ich kann mich kein Stück rühren. Ich rolle mich zur Seite und befinde mich direkt gegenüber der Delle in dem Container. Vor dem schwarzen Fleck und den Kieseln, die darum
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