Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
aufgehört, nur um dann wieder zuzuschlagen.
Lanz spürte, wie ihm die Kehle eng wurde. Der Juwelier war anscheinend völlig ratlos, was er von diesem seltsamen zweifachen Auftrag halten sollte. Doch der Künstler wusste, dass der Argwohn des Mannes geweckt war. Mit ihm würde er in Zukunft nicht mehr rechnen können.
„Beschreiben Sie mir die Frau, die diese Sachen in Auftrag gegeben hat“, forderte er Efrussi auf.
Jetzt grinste der alte Juwelier und zeigte seinen zahnlosen Mund. Er hob entschuldigend die Hände. „Tut mir leid, ich rede nicht über andere Kunden.“
Deswegen habe ich dich ja auch ausgesucht, dachte Lanz und presste die Lippen aufeinander. Er nickte angespannt und schloss die Ledermappe.
„Eine Frau mit schwarzer Haut hat die Stücke abgeholt“, sagte Efrussi schnell.
Doch der Künstler drückte die Mappe an sich und wandte sich zum Gehen.
„Wären Sie so freundlich und würden das da wieder zurück ins Fenster legen?“, fragte Efrussi und deutete auf den Armreif auf dem Tresen. Lanz lächelte gequält und deutete eine Verbeugung an. Zögernd nahm er das Schmuckstück und legte es in das schwach erleuchtete Schaufenster zurück. Es fühlte sich in seiner Hand an wie eine böse Vorahnung.
„Danke, und frohe Weihnachten“, murmelte Efrussi. Lanz drehte sich zu dem alte Juden um und nickte.
„Eins wollte ich Sie noch fragen“, sagte er und ging die wenigen Schritte zur Theke zurück.
„Was denn noch?“, schnarrte der Juwelier ungeduldig, doch seinem Gesicht war anzusehen, dass er immer noch auf den Auftrag hoffte.
Der Maler machte ein fragendes Gesicht, griff in seine Manteltasche. Dann stieß er Efrussi das kurze, scharfe Messer in den faltigen Hals. Das angedeutete Lächeln des Mannes erstarrte zu einer verzerrten Maske. Ungläubig schaute er auf den rubinroten Strahl, der sich über die rostigen Werkzeuge, Schräubchen und Drähte auf dem armseligen Tresen ergoss.
Geduldig verfolgte Alois Lanz den wilden Strom und sah fasziniert zu, wie er die kleine Welt des kleinen Mannes rot färbte. Er wartete in aller Ruhe, bis der Körper seines unfreiwilligen Komplizen hinter die Theke gesunken war.
Jeder konnte das gewesen sein.
Kaum hatte der Künstler den Laden verlassen, prallte er mit jemandem zusammen.
„Entschuldigen Sie bitte“, murmelte der andere und hob den Kopf.
In diesem Moment war es, als stürzte Alois Lanz im freien Fall in einen Abgrund.
Julius Pawalet.
Lanz murmelte hastig eine Entschuldigung und ging weiter. Sein Herz schlug so heftig, als wollte es davongaloppieren. Beruhige dich, sagte er sich. Der feine Herr Pawalet hat nur dein Gesicht gesehen. Er kennt dich nicht. Es wird nichts passieren … es wird nichts passieren.
Der Maler drückte sich in einen Hauseingang und schaute hinüber zu den fahl erleuchteten Fenstern des Juweliers. Er wollte sehen, ob dieser Mann ihn verfolgte. Die schlanke, etwas geduckte Gestalt von Julius Pawalet stand in dem winzigen Ausschnitt, den die trüben Lampen des Ladens beschienen. Es schien so, als schaute er sich die Auslage an. Der Künstler kniff die Augen zusammen und wartete, ob Pawalet in den Laden gehen würde. Doch es verging eine scheinbare Ewigkeit, in der sein seltsamer Verfolger einfach nur die Auslage betrachtete. Warum kam Pawalet ausgerechnet zu Efrussis Laden?
Da! Jetzt streckte er die Hand nach der Klinke aus! Unbewusst drückte Lanz sich tiefer in den dämmrigen Hauseingang. Gleich würde Julius Pawalet den Laden betreten und Efrussis Leiche finden. Trotzdem empfand der Künstler eine eigenartige Ruhe und Gleichgültigkeit. Was hatte er schon zu befürchten? Was ihn viel mehr aufwühlte, war die Frage, ob dieser kleine Museumswärter ihm auf der Spur war.
Julius Pawalet ging nicht in den Laden. Er drückte die Klinke der Tür nicht bis ganz nach unten, verharrte und ließ sie wieder los. Dann drehte er sich hastig um und ging in dieselbe Richtung, aus der er gekommen war. Im fahlen Laternenlicht erkannte Lanz Unruhe und Anspannung auf Pawalets Gesicht.
Was hat er vor, fragte sich der Künstler, und ohne darüber nachzudenken, löste er sich aus der Nische und folgte dem Mann. Er musste wissen, was Julius Pawalet vorhatte. Am Praterstern stieg der Saaldiener in eine Elektrische, die zum Alsergrund fuhr. Der Alsergrund.
Der Künstler setzte sich fünf Reihen hinter Julius Pawalet und beobachtete ihn durch die Hüte und Mützen der anderen Fahrgäste hindurch. Der junge Mann saß kerzengerade auf seiner
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