Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
alten kostbaren Schinken auch nichts anderes sind als Objekte, an denen die menschliche Gier hängt.“
„Hast du denn jemals versucht zu malen?“, fragte Johanna.
„Nein. Es war nicht diese Art von Interesse. Ich wollte einfach nur in der Nähe dieser Bilder sein. Sie sehen und verstehen. Und jetzt bereue ich, dass ich es geschafft habe.“
Johanna sah die Enttäuschung in seinen Zügen wie die ungesunde Gesichtsfarbe eines Kranken. „Was hätten sie denn tun müssen, damit du mit dem Ausgang der Geschichte zufrieden gewesen wärst?“, fragte sie, löste die Arme von ihm und begann, seinen Rücken zu streicheln. Wie beiläufig fasste sie von hinten an seinen Hemdkragen und öffnete den ersten Knopf. Er schien es nicht zu bemerken.
„Das ist es ja!“, antwortete er. „Ich weiß nicht, was mich zufriedengestellt hätte. Ich wollte unbedingt, dass mein Verdacht sich bewahrheitet und dass die Welt sieht, was seit Jahren in dem Museum vorgeht. Aber es hätte mir eigentlich egal sein müssen. Ich weiß nicht, woher dieser Eifer kam.“
„Vielleicht von deinem Vater“, sagte Johanna mit schläfriger Stimme. Sie wollte ihm Aufmerksamkeit und Interesse schenken. Doch gleichzeitig seine Stimmung langsam und geschickt in eine andere Richtung lenken. „Vielleicht hast du geahnt, dass er derselben Sache auf der Spur war und deswegen sogar sterben musste.“
Julius stieß ein verächtliches Lachen aus. Johanna nahm sich den zweiten Knopf vor, doch das zynische Blitzen in Julius’ Augen gefiel ihr nicht.
Es schien mit dem toten Vater eine alte Verstrickung zu geben, irgendeine unsichtbare, verweste Nabelschnur. Sie sah das müde Flackern in Julius’ Augen und nahm seine Hand. Sie wusste, dass sie niemals hinter seine Beweggründe kommen würde. Und sie wollte auch nicht dahinterkommen.
„Vielleicht hast du das tun müssen, um Klarheit darüber zu bekommen, wohin dein Weg führt“, versuchte sie es weiter. „Vielleicht ist das ja deine Belohnung. Kein Zeitungsartikel, der dich rühmt, und auch kein Stipendium. Sondern einfach nur das Wissen, das du jetzt hast.“
Julius lächelte versöhnlich und begann, ihr über den Handrücken zu streicheln.
„Na ja, Inspektor Lischka behauptet, dass ich ein guter Detektiv wäre …“
„Oh, das glaube ich auch. Du bist sicher gut darin, verborgene Dinge ans Licht zu holen.“ Ihre Stimme wurde zu einem Gurren.
Julius wandte ihr das Gesicht zu und sah sie fragend an. „War das ein eindeutiges Angebot, Fräulein Kowak?“, fragte er belustigt.
„Fühlt sich das hier irgendwie zweideutig an?“
Er wich ein Stück zurück und betrachtete sie. Johanna fühlte ein Ziehen in ihrem Bauch. Sein Blick war interessiert, aber kühl. So musste sich ein Fisch fühlen, der zappelnd am Haken hing und von einem Angler betrachtet wurde.
„Ich verstehe immer noch nicht, was für eine Art Frau du bist“, sagte er.
„Das wirst du auch nie herausfinden“, lächelte sie.
Ohne sich zu wehren, ließ Julius es zu, dass ein Knopf nach dem anderen durch ihre Hände wanderte. Irgendwann konnte sie ihre Hände auf seine Haut legen. Sie streichelte seine harte, schmale Brust und sah ihn fragend an.
„Wenn es mehr Frauen gäbe wie dich, müsste ich dir jetzt nicht sagen, dass ich noch ziemlich unschuldig bin“, stellte Julius fest.
Johanna schmunzelte. Sie hatte es nicht anders erwartet.
„Was willst du damit sagen … Frauen wie mich?“
„Freizügig … direkt … weißt du; ich hätte vielleicht etwas mehr Mut, wenn ich Geld zum Üben und Ausprobieren gehabt hätte.“
Johannas Hände stockten auf seiner heißen, trockenen Haut.
„Willst du damit sagen, dass ich eine …?!“
„Nein, ich denke nicht, dass du eine Schnepfe bist. Auch wenn du dich ein bisschen wie eine benimmst.“ Er fasste ihre Hände und führte sie an seinen Mund. Sein Kuss auf ihren Fingern war eher tröstend als hungrig.
Johannas Wangen wurden warm. „Du findest, dass ich mich benehme wie eine Hure?”
„Na, hör mal, kennst du irgendein Mädchen in Wien, das eigentlich anständig lebt, das aber einfach zu einem Mann geht und ihm das Hemd aufknöpft? Oder ist das gerade eine Modeerscheinung, von der ich nichts weiß?“
Sein belustigter Tonfall erschreckte sie. „Du fragst dich, warum ich keine Angst davor habe, meinen Ruf zu verlieren?“
Er nickte fahrig.
„Weil ich als medizinisch aufgeklärte Frau gegen unangenehme Begleiterscheinungen eines solchen Treffens gewappnet bin.“
Sie griff
Weitere Kostenlose Bücher