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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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dämmern, und so wie es aussah, waren nur wenige Menschen in der Menagerie unterwegs. Lischka legte einen Geldschein auf den Tresen. Der Pförtner sah sie mit unverhohlenem Misstrauen an.
    „So spät noch?“, fragte er mit der nörgelnden Stimme eines Kaffeehausobers. „Wir schließen in einer Stunde.“
    „Eine Stunde reicht völlig aus für unser Vorhaben“, beeilte Julius sich zu sagen.
    „Was haben S’ denn vor, die Herren, wenn ich fragen darf?“ Ein anzügliches Grinsen spaltete den Mund des Pförtners. Er machte keine Anstalten, den Schein zu nehmen und ihnen die Eintrittskarten auszuhändigen.
    „Tierstudien“, sagte Julius. „Wir machen Tierstudien. Wir sind Künstler.“
    Lischka verdrehte die Augen. Das war zwar eine geschickte Ausrede, aber den Pförtner schien sie noch misstrauischer zu machen. Er nahm den Schein und sah sie dabei fragend an. Widerwillig gab er Lischka das Wechselgeld und schob zwei Karten über den Tresen. Plötzlich sah Lischka sich vor der Schwierigkeit, keinen Verdacht zu erregen, wenn der Zoo tatsächlich schloss. Der Pförtner hatte doch sicher ein Auge darauf, dass sie durch den Ausgang gingen. Was, wenn er merkte, dass sie keinesfalls vorhatten, den Zoo zu verlassen, sondern sich einschließen lassen wollten?
    Lischka schlug einen unauffälligen Spaziergang an den Tiergehegen vorbei vor, wobei sie die Umgebung nach allen möglichen Unterschlupfen absuchen sollten, wo ein Mensch sich mehrere Tage lang verstecken konnte.
    Doch bisher schien dafür nichts in Frage zu kommen. In der Mitte des kreisförmigen Zentrums stand ein kleiner Pavillon auf einer Anhöhe. Dort pflegte der Kaiser, wenn er in Schönbrunn weilte, das Frühstück einzunehmen. Es dämmerte bereits, und die barocke gelbe Fassade verblasste.
    Rund um diesen künstlichen Hügel waren die Tiergehege angelegt, als wären es die Ränge einer Manege, die dem Geschehen in der Mitte beiwohnten.
    „Hier ist ja alles voller Wärter!“, stellte Lischka ernüchtert fest.
    In fast allen Anlagen oder Käfigen waren Männer in schmutziger Latzhose dabei, Tiere zu füttern und Ställe auszumisten. In der Luft lag der strenge Geruch von Löwen, vermischt mit dem metallisch klaren Aroma des Winters.
    Lischka fragte sich, wie die Tiere bei dieser Kälte überleben konnten. Sie sahen sich etwas abseits das neue Affenhaus an, in dem die kleinen Primaten aneinandergeschmiegt auf den Ästen hockten. Die Papageien hatten den Kopf unter das Gefieder gesteckt und schienen sich in einer Kältestarre zu befinden. Einzig die Robben und Zwergpinguine in einem Wasserbecken genossen die Temperaturen. Es stank nach Fisch bei diesem Becken, und Lischka sah sich angestrengt nach weiteren Möglichkeiten um, wo Alois Lanz sich verstecken könnte.
    „Er kann unmöglich in einer der Tieranlagen sein; die Wärter hätten ihn längst entdeckt“, sagte er.
    Sie drehten eine weitere Runde und hielten Ausschau nach einem Ort, an dem man sich nach der Schließung des Zoos verbergen konnte. Endlich war es so weit. Die wenigen Besucher strebten Richtung Ausgang, der Himmel wurde dunkel, und die Laternen gingen an.
    Lischka und Julius entschieden sich für eine riesige Vogelvoliere als Unterschlupf. Sie stand auf eisernen Stelzen und war umgeben von niedrigen Büschen. Sie krochen zwischen dem kahlen Gestrüpp unter den Boden des Käfigs. Von dort aus hatte man einen Blick auf den fernen Frühstückpavillon des Kaisers und auf den Geräteschuppen ganz in der Nähe. Der Schuppen war einer der wenigen Plätze, die für ein Versteck in Frage kamen. Sie versuchten, eine einigermaßen bequeme Haltung einzunehmen. Über ihnen krächzten ein paar Vögel.
    „Hast du gar keine Angst?“, raunte Lischka seinem Freund zu.
    Er wunderte sich, wie ruhig und gefasst Julius neben ihm saß und wie konzentriert er auf seine Uhr sah, als wartete er auf den Beginn einer Vorstellung in der Ringstraßen-Oper.
    „Das hier muss sein“, antwortete er leise.
    „Ja, das ist mir auch klar. Ich habe dich aber gefragt, ob du gar keine Angst hast.“
    „Du bist doch bei mir.“
    Lischka seufzte. „Du fühlst irgendeine Verbindung zu ihm“, stellte er fest. Sag schon! Es muss einen Grund geben, warum du dir nicht in die Hosen machst.“
    „Höre ich da einen Vorwurf aus deiner Stimme heraus?“, wisperte Julius.
    Lischka verlagerte das Gewicht. Er hielt die geduckte Stellung unter dem Vogelbauer kaum noch aus. Julius’ Gesicht neben ihm schimmerte weiß in der Dunkelheit,

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