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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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ungeduldige Wut gegen den Mann aus. Er erinnerte ihn daran, dass es ihm nicht gelungen war, die Sache mit dem alten Pawalet zu klären.
    „Was wollen Sie denn von mir, Pawalet?“, fragte er bissig.
    Doch statt einer Antwort zog sein Gegenüber eine zerknitterte Abendzeitung aus seiner Tasche und legte sie vor Lischka auf die verkratzte Lederoberfläche des Schreibtischs. Die Schlagzeile Drei tote Kinder in Schönbrunner Menagerie. Archaisches Opferritual! s prang ihn an wie ein wütender Hund. Lischka konnte nicht verhindern, dass er abermals zurückwich, wie vor wenigen Stunden, als er tief unten die toten Körper der Kinder im Tiergehege hatte liegen sehen.
    „Ich kenne diesen Bericht, Pawalet! “ , schnauzte Lischka den Besucher an.
    „Glauben Sie, dass es derselbe Täter ist wie bei diesem Mord mit der Giftschlange und bei dem Mann, der letzte Woche mit den Pfeilen im Körper gefunden wurde?“, fragte Pawalet.
    „Ich weiß es nicht, Herrgott noch mal! Ich weiß nur, dass die Menschen allmählich unruhig werden und dass ich keine Ahnung habe, wo ich einen Mörder finden soll, der solche Szenarien … äh inszeniert!“
    „Was für Szenarien?“, bohrte Pawalet nach.
    „Ja, nun … irgendwie historisch angehaucht, brutal, schockierend. Weiß der Teufel, was er uns damit sagen will …“ Lischka stierte vor sich hin und ließ die schreckliche Schlagzeile vor seinen Augen verschwimmen. „Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich, Pawalet? Was wollen Sie von mir?“
    „Ich will Ihnen einen Vorschlag machen, Inspektor.“
    „Lassen Sie hören, Pawalet. Schlimmer als dieser Tag kann’s ohnehin nicht mehr kommen.“
    Doch anstatt ihm seine Theorie vorzutragen, las Pawalet ihm seelenruhig noch einmal den Artikel aus der Abendzeitung vor.
    Heute ereignete sich in der kaiserlichen Menagerie zu Schönbrunn ein schrecklicher Vorfall. Vor den Augen der entsetzten Besucher warf ein Mann ein in Stoff gewickeltes Bündel in eine Käfiganlage, in welcher die bengalischen Tiger seiner Majestät untergebracht sind. Die Besuchermenge vor diesem Käfig war an diesem Tage besonders groß, da die Tigerin vor wenigen Tagen Junge zur Welt gebracht hat und diese gut sichtbar säugt. Vielleicht aufgrund ihres Nachwuchses gebärdete sich das Tier daraufhin äußerst gereizt und umkreiste das hineingeworfene Stoffbündel. Wie sich kurz darauf herausstellte, waren zwei kleine Kinder darin eingewickelt, welche nun vor den Augen der Besucher von der Tigerin angegriffen wurden. Ein herbeigeeilter Wärter konnte das Tier mit einer Eisenstange dazu bringen, dass es von seinen Opfern abließ, und zog die Säuglinge aus dem Käfig. Doch ihr Leben konnte nicht mehr gerettet werden. Die Bisswunden der Raubkatze hatten sie sofort getötet. Eine Stunde später vermeldete ein anderer Wärter, dass die Leiche eines dritten Kleinkindes in den Becken des Krokodilkäfigs aufgefunden worden war. Man geht davon aus, dass der schändliche Mörder auch dort sein Unwesen getrieben hatte. Niemand hat den Verdächtigen erkannt, und auch eine sogleich eingeleitete Suche nach ihm durch die Polizei verlief erfolglos. Die Menagerie zu Schönbrunn wird in den nächsten Tagen für die Öffentlichkeit gesperrt sein. Über die Herkunft der toten Kinder ist noch nichts bekannt.
    Pawalet ließ die Zeitung sinken und wartete im verklingenden Rascheln auf Lischkas Reaktion.
    „Ich weiß , was in der verdammten Zeitung steht, Pawalet!“, schrie der. „Ich war an diesem verfluchten Tatort! Warum zum Teufel lesen Sie mir das vor?“
    „Weil ich mich frage, ob dieses Szenario Sie an etwas erinnert.“
    „An was soll es mich denn erinnern? An die Bräuche irgendwelcher afrikanischen Ureinwohner? An barbarische Rituale vom Amazonas? Was soll mir dieser Wahnsinn sagen, Pawalet?“ Er raufte sich die Haare. „Und jetzt machen Sie endlich den Mund auf, sonst vergesse ich mich!“
    Doch Julius Pawalet legte nur den Kopf schief und sah ihn ein wenig versonnen an.
    „Es gibt nur eine Erinnerung, die in mir wach wird, wenn ich an drei Kinder in der Nähe von Krokodilen und Tigern denke“, sagte er nachdenklich.
    „Ja, bitte, ich höre!“, schnauzte Lischka.
    „Sagen Sie mir zuerst, wie die Kinder aussahen, wie alt sie waren.“
    „Warum sollte ich?“
    „Weil ich Ihnen wahrscheinlich einen sehr interessanten Hinweis geben kann.“
    Lischka seufzte. „Klein … vielleicht eineinhalb Jahre alt. Blonde Locken. Und sie waren nackt. Die beiden im Tigergehege waren

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