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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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Ansichten dem Metzger zu, wie er weiter sein Fleisch schnitt.
    Als die Frau endlich erschien, trat Lischka zu ihr. Sie sah ihn unwillig an und stemmte die Hände in die Hüften. „Was denn noch?“, fragte sie.
    „Wir brauchen dringend Zugang zu der Wohnung von Ludwig Kraisler. Es gibt neue Erkenntnisse, und wir müssen uns dort noch einmal umsehen.“
    Die Frau sah Lischka verständnislos an. „Aber die Wohnung ist schon ausgeräumt worden. Der neue Mieter zieht nächste Woche ein.“
    „Wir brauchen auch keine Möbel für die Suche. Kommen Sie bitte mit, und öffnen Sie uns die Wohnung.“
    ***
    Die Wohnung des zweiten Mordopfers war bereits vollständig ausgeräumt. Der Boden war jedoch noch ziemlich schmutzig. Lischka ging auf alle viere und tastete nach losen Bodenbrettern.
    „Frau …“, sagte Lischka zu der Vermieterin, die in der Nähe der Tür stand.
    „Gabriele Schnurl, bittschön.“
    „Frau Schnurl, ist Ihnen aufgefallen, dass Herr Kraisler von jemandem Besuch hatte?
    „Er hatte fast jeden Tag Besuch. War ein allseits beliebter Mann und hatte viele Bekannte.“
    „Ist Ihnen mal jemand Besonderes aufgefallen?“
    Die Frau hob nur die Schultern. In der Wohnung rutschte Lischka über den Boden, als wäre er eine Maus, die ihr Winterversteck sucht.
    „Wir haben in Erfahrung gebracht, dass Herr Kraisler ein Bild von sich hat malen lassen. Wissen Sie etwas davon?“, fragte Julius. Das war eine kühne Behauptung.
    Frau Schnurl sah ihn nachdenklich an und verengte die Augen. „Ja, da war etwas …“, sagte sie nachdenklich. „Also der Ludwig Kraisler hat ein Mädel gehabt. Ein junges, liebes Ding. In die hat er sich verliebt, zwei Jahre nachdem seine Frau gestorben ist. Die wollt’ er heiraten. Und dann ist das arme Ding krank geworden und musste in die Kur nach Böhmen fahren. Da hat der Ludwig beschlossen, sie ein wenig aufzuheitern und ihr ein Bild von sich zu schicken. Da hat er sich einen Kunstmaler zu sich nach Haus bestellt, das ist aber schon Monate her.“
    „Woher wissen Sie das?“, fragte Julius.
    „No, hier hat’s doch ganz penetrant nach Ölfarbe gestunken, im Treppenhaus. Da bin ich zu ihm und hab ihn g’fragt, was er da macht. No, da hat er mir das mit dem Maler g’sagt.“
    „Haben Sie den Mann gesehen?“ Julius hielt die Spannung kaum noch aus.
    „Nein, den hab ich nur mal vom aus Fenster g’sehen. Ein unscheinbarer Bursch, glaub’ ich.“
    „Und das Porträt?“, bohrte Julius weiter. „Haben Sie das gesehen?“
    Frau Schnurl schüttelte den Kopf.
    „Sagen Sie, so ein Ölbild, das dauert doch sehr lang zum Malen. Und es ist kostspielig. Warum ist denn der Herr Kraisler nicht einfach zum Fotografen gegangen, wenn er seiner Verlobten ein Bild von sich schicken wollte?“
    „Ach, der Ludwig war ein eitler Mann. Man soll nicht bös von den Toten reden, aber er war wirklich ein eitler Gockel. Hatte immer die neuesten Hüte auf, der Kraisler.“
    Dann, als wäre Frau Schnurl von einer schrecklichen Erinnerung gepackt worden, schauderte sie und stützte sich am Türrahmen ab. „Dass ihm so was Grausames zustoßen muss … Das hat uns alle ganz erschüttert.“
    „Vergesst den Fotografen!“, schrie in diesem Moment Lischka aus dem Hintergrund. Dann kam er um die Ecke, ein gerahmtes Bild in der Hand, schob Frau Schnurl aus dem Flur und knallte ihr die Tür vor der Nase zu.
    ***
    Das Bild war im Format ein wenig größer als jenes, das der Mörder von Lieselotte Kromichl gemalt hatte. Es zeigte das rosige, leicht schwammige Gesicht eines etwa vierzigjährigen Mannes. Die blonden Haare lagen wie pomadisiert um den Kopf, und der edle Glanz seiner Kleidung verriet, dass der Metzger immer viel Wert auf seine äußere Erscheinung gelegt hatte.
    Julius vertiefte sich in die Malweise des Bildes und sagte: „Das ist derselbe Maler, ganz eindeutig. Aber wir haben immer noch keinen Namen.“
    „Ich bin mir sicher, dass die Familie Juristoff den Namen des Malers kennt!“, sagte Lischka.
    Eine Minute später standen sie schon wieder auf der Straße. Julius hatte das zweite Bild zu dem ersten in das Tuch gewickelt. Lischka winkte einen Fiaker heran. Sie fuhren fast eine Stunde durch den Schnee, ehe sie das prachtvolle Anwesen der Juristoffs erreichten. Während der Fahrt schwieg Lischka hartnäckig, und Julius schloss die Augen, den Kopf an die speckigen Lederpolster gelehnt. In seinem Kopf pochte es schmerzhaft, und der Schnee blendete seine Augen, als blickte er direkt in die

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