Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
Vom Netzwerk:
führte
am Boden zu einer Balkanisierung der Welt. Die britische Version
des Friedensprozesses führte dazu, dass jede ehemalige
Oppositions- und Interessengruppe in Form eines Freistaates des
Königreiches ihren eigenen blutigen Knochen zum Benagen
bekam. Dies nannte man das Restaurationsabkommen. Die
Unversöhnlichen und Aufsässigen des besiegten Regimes
bezeichneten dies als Betrug. An die gesellschaftliche
Schneegrenze in den ausgebeuteten Siliziumschluchten Schottlands,
in die rußgeschwärzten Gettos der Midlands oder die
erschöpften Gruben von Wales zurückgedrängt,
formierten sich die wenigen, die sich noch immer an ihre Waffen
und ihre alten politischen Ziele klammerten, zur Armee der Neuen
Republik.
     
    An einem jener langen Abende saß Kohn auf dem
Mäuerchen vor dem Biergarten eines Pubs in Golders Green und
trank bedächtig einen Liter Stella Artois. Er trug eine
Sonnenbrille, obwohl es bereits dämmerte. Der runde,
weiß emaillierte Tisch, an dem die anderen saßen,
stand dicht an der Mauer, so dass er sich auf die Schulter seiner
gegenwärtigen Freundin Annie stützen konnte. Wie die
meisten anderen Mädchen (er trug die Sonnenbrille vor allem
deshalb, um sie unauffällig taxieren zu können) trug
auch sie einen hautengen, hoch geschlossenen Hosenanzug, der
selbst ihre Finger und Zehen bedeckte. Das hauchdünne
Hemdchen, das sie darüber trug, vermochte ihre Formen nicht
zu verdecken. Es war obszön, wie einer seiner älteren
Arbeitskollegen beeindruckt erklärte, als die Mode
aufgekommen war, vollkommen obszön.
    Jedenfalls waren sämtliche Arbeitskollegen da. Annie, der
große Typ aus Birmingham, der etwa gleichalt mit ihm war
und Stone genannt wurde, und Stones Freundin Lynette – sie
alle arbeiteten am selben Projekt. Stone war Arbeiter wie er;
Lynette machte eine Ingenieursausbildung. Er dachte nur ungern an
Annies Tätigkeit, denn bei der Vorstellung, wie sie
über die hohen Träger balancierte, brach ihm der kalte
Schweiß aus. Frauen liegt das, versicherte sie ihm
ständig. Guck dir doch bloß mal die ganzen Turnerinnen
an. Ja, klar.
    »Also, wir haben gewonnen«, sagte Stone.
»Denen haben wir’s, verdammt noch mal,
gezeigt.«
    Sie grinsten einander an. Ein kurzer, aber heftiger Streik
hatte ihnen soeben eine ansehnliche Lohnerhöhung und
wesentlich bessere Arbeitsbedingungen eingebracht.
    »Vor ein paar Tagen tauchte diese Frau an der
Streikpostenkette auf«, meinte Stone. »Dozentin am
College. Gab uns ein bisschen Geld, das die Studenten für
die Streikkasse gesammelt hatten. Eigentlich hätten
wir’s ja nicht gebraucht. Die Gewerkschaft stand voll
hinter uns. Jedenfalls hatten sie sich die Mühe gemacht,
eine Sammlung zu veranstalten, also bedankte ich mich bei ihr und
meinte, ich würde es fürs nächste Mal aufs Konto
tun.« Er lachte. »Sie sagte, da hätte ich
verdammt Recht, es gebe immer ein nächstes Mal. Sie hat mir
diese Zeitschrift verkauft.«
    O nein, dachte Kohn. Es klirrte, als er das Glas absetzte.
Stone zog ein abgegriffenes Blättchen aus der Innentasche
seines Jacketts und breitete es auf dem Tisch aus.
    »Roter Stern«, sagte Stone. »Ziemlich
extrem, stehen aber ein paar ganz vernünftige Sachen drin.
Hab mir gedacht, das könnte dich vielleicht interessieren,
Moh.«
    Sieht man mir das an?, dachte Kohn bestürzt. Trage ich
ein Kainsmal auf der Stirn, an dem man mich erkennt, ganz gleich,
was ich sage oder nicht sage oder wie sehr ich mich bemühe,
alles hinter mir zu lassen?
    Widerwillig griff er nach der Zeitung, nahm zum Lesen die
Sonnenbrille ab. Da war sie, die Titelzeile mit dem seltsamen
Zeichen: Hammer und Sichel, aber spiegelverkehrt zum
traditionellen sowjetischen Symbol, mit einer ›4‹
auf dem Hammer.
    Er las nicht über das Impressum hinaus.
    »Die einzigen roten Sterne, die ich kenne«, sagte
er, »sind tot und ausgebrannt und bestehen aus schwach
leuchtendem Gas.«
    Lynette hatte seine Bemerkung als Einzige verstanden.
    »Die sollten das Blatt Roter Riese nennen!«
    Kohn lächelte sie an und sah dann zu Stone, der finster
und betroffen dreinschaute.
    »Ich dachte, du hast dich beim Streik engagiert, du
verstehst dich aufs Organisieren, du bleibst dir immer
treu…«
    Noch hundert Jahre, dachte Kohn, und man wird einen solchen
Menschen Bolschie nennen. Der alte Mann wäre stolz
auf ihn gewesen.
    »War nicht persönlich gemeint, okay?«, sagte
Kohn. »Es ist bloß – man sollte

Weitere Kostenlose Bücher