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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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seine Zeit
nicht damit verschwenden, über eine Revolution nachzudenken.
Das ist Scheißdreck, Mann. Dazu wird es nie kommen. Ganz
gleich, wie überzeugend es klingt, wenn’s um die
praktische Umsetzung geht, halten die Ideen nicht
stand.«
    Er lehnte sich zurück und kam sich selbstgefällig
vor. Er war cool gewesen, hatte logisch argumentiert. Keiner
dieser Ausbrüche voller Verachtung und Abscheu, wie sie ihm
gelegentlich unterliefen.
    »Also«, meinte Annie, »du siehst nicht so
aus, als hättest du was Totes gesehn. Eher war’s ein
Gespenst.«
    Er lächelte in ihr emporgewandtes, besorgtes Gesicht.
    »Blass und am ganzen Körper zitternd?«
    »Ja«, sagte sie sachlich. »Stimmt
genau.«
    »Ah«, machte Kohn. »Vielleicht habe ich
tatsächlich ein Gespenst gesehen.« Lew Trotzkij, mit
einem Eispickel im Kopf. Das Gespenst der Vierten
Internationalen. Das Schreckgespenst des Kommunismus. »Oder
vielleicht wird mir auch bloß kalt.« Er kletterte von
der Mauer herunter und rückte einen Stuhl an Annies Seite.
»Wärme mich.«
    Annie erfüllte ihm den Wunsch bereitwillig, Stone aber
wollte es damit nicht bewenden lassen.
    »Da ist eine Doppelseite über die
Arbeitsbedingungen auf den Weltraumplattformen drin. Sieht ganz
so aus, als wären das richtige Baustellen. Der Typ, der den
Artikel geschrieben hat, hat versucht, eine Gewerkschaft zu
organisieren und wurde verbrannt…«
    »Eine Weltraumgewerkschaft?«, meinte Lynette.
    »Ja, warum nicht?«
    »Was bedeutet eigentlich
›verbrannt‹?«, fragte Moh.
    Stone überflog den Artikel, doch Annie kam ihm zuvor.
    »Das ist ein alter Firmentrick, ist mal einem Onkel von
mir passiert, der in einem Atomkraftwerk gearbeitet hat. Er wurde
als Störenfried gebrandmarkt, doch anstatt ihn zu feuern
– das hätte noch mehr Ärger gegeben –
sorgten sie dafür, dass er die erlaubte Jahresstrahlendosis
in einer Woche abbekam. War natürlich ein Versehen. Tut uns
Leid, für Sie gibt’s nichts mehr zu tun. Das
widerspräche den Sicherheitsbestimmungen.«
    »Das ist ja furchtbar!«, sagte Lynette. »Was
ist aus ihm geworden? Hat er…?«
    »Er« – Annie legte eine Kunstpause ein
– »lebt und rebelliert noch immer – auf drei
Beinen.«
    Das beklommene Gelächter wurde von Stone unterbrochen,
der Augen und Zeigefinger noch immer auf die Zeitung gerichtet
hatte, mit der anderen Hand abwinkte und sagte: »Nee, die
Strahlendosen waren jedenfalls todsicher. Da gab’s strenge
Vorschriften. Wir haben alle schon Schlimmeres erlebt.«
Beklommenes Schweigen. »Was diesem Typ passiert ist,
war… äh… elementarer. Sie ließen ihn
während eines Sonnensturms draußen arbeiten. Musste
mit dem nächsten Shuttle zurückfliegen. Angeblich ist
er okay, aber er muss jetzt am Boden bleiben.«
    »Sein ganzes Leben lang?«, fragte Kohn
bestürzt.
    »Keine Ahnung.« Stone schaute lächelnd hoch.
»Aber das kannst du ihn selbst fragen. Er spricht heute
Abend auf einer Veranstaltung.«
    Kohn blickte ihn verwirrt an. Bis jetzt war ihm alles
irgendwie unwirklich vorgekommen. Er hatte ein Gespenst erblickt,
doch das war weniger beunruhigend als die Vorstellung, dass diese
Leute aus der Vergangenheit leibhaftig umherwandelten und dass
man einfach hingehen und ihnen Scheißfragen stellen
konnte.
    Er öffnete den Mund und kam sich selbst blöd vor,
als er fragte: »Auf was für einer
Veranstaltung?«
    »Na, auf ’ner öffentlichen, Space-Head!«
    Kohn versetzte Stone eine Kopfnuss, gerade so fest, dass es
ein wenig weh tat. »Gib her.«
    Er zog die Zeitung zu sich heran, las die eingerahmte
Vorankündigung am unteren Rand des Innenteils.
»›Gewerkschaften für die Weltraumplattformen!
Keine Stigmatisierung!‹ Klar, wenn ihr hundert Prozent
gebt, Brüder und Schwestern… Ah, hier ist das
Kleingedruckte: ›Forum Roter Stern Nordlondon.‹ Die
hab ich gekannt. Baut die Scheißpartei auf,
vorwärts zur Scheißrevolution, Arbeiter auf und
über der Erde vereinigt euch! Also, ich bin
draußen.«
    Er spürte Annies behandschuhte Finger an der Wange.
»Niemand verlangt von dir, dass du eintrittst, Moh«,
sagte sie in vernünftigem Ton. In der Art Tonfall, der
bedeutete: übertreib’s nicht, Kumpel. Er wandte ihr
den Kopf zu, ließ ihre Hand an seinem Hals hinunterrutschen
und musterte sie. Ihr welliges schwarzes Haar, die scharf
gezeichneten, schlanken Gesichtszüge ließen sie (wie
er insgeheim fand) wie eine kleinere, elegantere

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