Das Stockholm Oktavo
Zuschauern, die in Alltagskleidung gekommen waren, sie bezahlten einen kleinen Betrag und durften sich ins Publikum setzen und zusehen. Ich reichte einem Saaldiener meine Karte und ging hinein.
Kapitel 56
Ein gefährliches Schmusekätzchen
Quellen: J. Blom, Lakai von Gullenborg
Johanna und die Uzanne saßen Knie an Knie in der Kutsche, ihr Atem hing in Wölkchen vor ihren Gesichtern, dichte Eisblumen hafteten an den Scheiben.
»Fräulein Blom, Sie sehen von Kopf bis Fuß aus wie eine junge Baroness«, sagte die Uzanne und schlug die Reisedecke zurück, in die Johanna warm eingehüllt gewesen war.
»Madame sind stets zu freundlich!« Johanna drückte ihren Fächer und spürte das Päckchen Antimon in ihrer Hand unter dem cremeweißen Lederhandschuh.
»Ich bin nicht freundlich, ich bin ehrlich. Und ich erwarte, dass auch Sie ehrlich zu mir sind.« Die Uzanne zog einen Umschlag aus ihrer Tasche und öffnete ihn. »Dieser Brief kam mit der Morgenpost. Ich bin gespannt, was Sie dazu sagen.« Johanna konnte nur dümmlich nicken, aber sie spürte, wie sich jeder Muskel ihres Körpers anspannte. Es war der Brief, den Emil zu schicken versprochen hatte. »Es ist nur ein Satz. Soll ich ihn vorlesen?« Wieder nickte Johanna und drückte nervös die Handflächen aneinander.
»›A minuit il ne sera plus; arrangez-vous sur cela.‹«
»›Um Mitternacht wird er nicht mehr sein, bereiten Sie sich darauf vor‹«, übersetzte Johanna mit großen, verstörten Augen.
»Offenbar haben viele andere genau dieselbe Nachricht erhalten. Wissen Sie, wer sie geschickt hat?«, fragte die Uzanne.
»Nein, Madame, nein«, sagte Johanna, erleichtert von diesen nüchternen Worten.
»Aber ich«, sagte die Uzanne, sie warf den Zettel auf den Boden der Kutsche und zermalmte ihn unter ihrem Stiefel. »Der Mann, der profitieren will. Der Mann, der zu feige ist, um beim Mord an seinem Bruder zugegen zu sein, obwohl er ihn wünscht, ihn erfleht und dafür zu Scharlatanen geht, die es ihm bestätigen sollen. Ihm geht es nur darum, seinen Tod anzukündigen!« Sie schlug gegen die Wand der Kabine, der Lakai öffnete die Tür. »Tür zu! Und warten Sie, bis ich zweimal klopfe. Wir sind hier noch nicht fertig«, sagte sie und nahm wieder Haltung an. »Würde ich mich nicht meinem Henrik verpflichtet fühlen, hätte ich in meinem Herzen nicht ein grenzenloses Meer der Liebe zu ihm und zu Schweden, würde ich Polizeichef Liljensparre persönlich benachrichtigen.« Sie rückte ihren Dreispitz gerade und zog eine paillettenbesetzte weiße Halbmaske vors Gesicht. »Ich weiß schon lange, dass Herzog Karl ein dummer, habgieriger Mann ist, und habe mir einzureden versucht, dass ebendies bewundernswerte Eigenschaften für einen Strohmann auf dem Thron wären. Und er lässt sich leicht von seinem Schwanz lenken.« Die Uzanne verzog den Mund, als hätte sie etwas Schlechtes gegessen, doch dann lehnte sie sich lächelnd wieder zurück. »Waren Sie schon einmal mit einem Mann zusammen, Johanna?«
Johanna rückte an die Uzanne heran und drückte das Päckchen fest an ihre Handfläche. »Nein«, sagte sie leise und versuchte, aufgeregt wirken.
Die Uzanne fuhr mit ihrem satinbehandschuhten Finger über den Ausschnitt von Johannas Mieder und schob ihn so weit unter den Stoff, dass er über die Brustwarze strich. »Ich kann Ihnen versichern, dass es ein echtes Vergnügen sein kann. Ich war während meiner Ehe eine überglückliche Frau. Doch manchmal ist es auch nur eine lästige Pflicht, die man erfüllen muss. Für Gott, fürs Vaterland, für die Liebe. Kein Opfer ist dafür zu groß.« Die Uzanne nahm Johannas Hände. »Ihre Schlafmittel haben mich in vielen Nächten vor Karl gerettet, Johanna. Ich weiß, dass ich Sie trotz Ihrer Dienstbeflissenheit und Ihrer Treue zu mir auf die Probe gestellt und dann Ihre Flügel gestutzt habe. Aber es war nur zu Ihrer eigenen Sicherheit.« Sie sah Johanna tief in die Augen und strich über deren Handschuhe. »Ich will Sie auf Gullenborg behalten. Fräulein Plomgren wird heute Nacht geopfert, sie wird … Was ist?« Johanna riss ihre Hand weg, war aber nicht schnell genug. Die Uzanne drückte so fest zu, dass Johanna Tränen in die Augen stiegen. »Verbergen Sie etwas vor mir, meine Süße?« Sie zog gewaltsam Johannas Handschuh ab, nahm das quadratische Apothekerbriefchen und faltete es vorsichtig auf. »Was ist das?«
»Antimon.«
Die Uzanne steckte das Päckchen ein und drückte Johanna auf den Sitz zurück. »Und
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