Das Strandhaus
jetzt nach Hause gehen, oder was?«, fuhr sie ihn ärgerlich an. »Du hast deine schlechte Tat für heute getan.«
Er schob die Lippen vor und spielte den Beleidigten. »Bu-hu. Es ist immer noch früh, weißt du.«
»Schön, warum gehst du dann nicht an den Strand und trittst anderer Leute Sandburgen kaputt oder etwas in der Art?«, sagte sie genervt.
»Habe ich schon«, witzelte er. Ein Grinsen ging über sein breites Gesicht. »Ich weiß, du bist scharf auf mich.«
Sie lachte zornig. »Denny, du hast getrunken, stimmt’s?«
»Gib’s zu, Ashley.« Er beugte sich bedrohlich zu ihr vor.
»Ja, ich bin scharf auf dich, Denny. So, wie ich scharf darauf bin, mich von Haien zerfetzen zu lassen.«
Er ließ sich die Bemerkung einen Moment durch den Kopf gehen, während er sie argwöhnisch anschaute. Dann schob er die Hände in die Taschen seiner abgeschnittenen Jeans und runzelte die Stirn. »Gib mir eine Chance«, murmelte er. »Tut mir Leid, dass ich dir Angst eingejagt habe. Ehrlich.«
»Entschuldigung akzeptiert«, sagte sie.
»Es ist nur mein blöder Sinn für Humor, weißt du. Wie wär’s mit einem Spaziergang? Am Strand. Nur ein ganz kurzer Spaziergang, okay?«
»Wie wär’s, wenn wir’s lieber bleiben lassen?«, gab Ashley zurück.
Seine Augen blitzten einen flüchtigen Moment lang wütend auf, dann beruhigte er sich wieder. »Ich meine es ernst«, sagte Denny leise.
»Du bist nicht ernst, du bist unerbittlich«, ulkte Ashley.
Er funkelte sie an, wollte etwas sagen, bremste sich jedoch. »Okay, Ash. Bis demnächst«, knurrte er, bevor er sich abwandte und langsam die Anhöhe hinaufschlenderte.
Ashley seufzte erschöpft. Sie schaute Denny nach, bis er über der Kuppe des Hügels verschwunden war.
Wie lange kenne ich ihn eigentlich schon?, überlegte sie.
Seit der zweiten Klasse. Sie hatte ihn nie besonders gemocht. Er war ihr aber auch nicht sonderlich unsympathisch gewesen. Er war einfach immer dabei. Nur einer aus der Clique.
Aber jetzt begriff sie zum ersten Mal, dass sie sich vor Denny fürchtete.
Er ist so groß und hat so unglaubliche Kräfte, dachte sie, als sie den Pfad zu ihrem Haus hinaufging. Ich glaube, er weiß selbst noch nicht einmal, wie stark er ist.
Und er scheint so viel Zorn aufgestaut zu haben. Er tut so, als wäre alles nur Spiel, blödelt herum, treibt seine Streiche. Aber unter der Oberfläche ist er irgendwie gemein.
Bösartig genug, um jemanden zu verletzen, wenn er seinen Willen nicht bekommt?
Ashley gähnte. Sie war zu müde, um jetzt noch länger über Denny nachzugrübeln.
Außerdem war er nur eine Nervensäge.
Er wollte wirklich niemandem etwas Böses tun.
Am nächsten Morgen verschlief Ashley und wachte erst gegen halb elf auf. Ihre Eltern waren bereits früh zum Golfplatz gefahren, wie sie aus einer Notiz an der Kühlschranktür erfuhr.
Sie haben aber auch nichts als Golf im Sinn, dachte sie kopfschüttelnd. Ich weiß gar nicht, warum wir jeden Sommer ans Meer fahren.
Sie schwimmen nicht. Sie mögen nicht in der Sonne liegen. Immer nur Golfspielen und nochmals Golfspielen.
Sie verzehrte eilig eine Schüssel Cornflakes, stopfte einige Sachen in ihre Strandtasche, überprüfte die Batterien in ihrem Walkman und bummelte dann zum Strand.
Es war ein Samstag, deshalb war der Strand bereits ziemlich voll. Ashley hielt nach ihren Freunden Ausschau, während sie am Wasser auf- und abwanderte und Decken und Sonnenschirmen auswich.
Niemand zu sehen.
Kurz darauf erschien Ross in ihrem Blickfeld. Er stand mehrere Sonnenschirmreihen von ihr entfernt und ließ seinen Blick suchend über die Menschenmenge schweifen.
Wahrscheinlich sucht er mich, dachte Ashley. Sie hob eine Hand und winkte. »Ross! Hey, Ross!«
Er entdeckte sie nach wenigen Sekunden und kam auf sie zugerannt.
Er lächelte nicht so wie sonst immer, wenn sie sich trafen.
Sie spürte sofort, dass ihn etwas bedrückte.
»Hey, was ist los?«, erkundigte sie sich.
Er wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Ashley sah, dass er ganz außer Atem war.
»Hi, Ashley. Ich … äh …«
»Ross, was hast du?«, fragte sie und fühlte, wie sich ihre Kehle vor Unbehagen zusammenschnürte.
»Ich nehme an, du weißt es noch nicht«, begann er unbeholfen.
»Was denn? Was weiß ich nicht?«, fragte sie ungeduldig.
»Es … es geht um Lucy und Kip«, erwiderte Ross, und sein Kinn zitterte. »Sie sind gestern Abend nicht nach Hause gekommen. Sie sind beide spurlos verschwunden.«
5.
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