Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
Vom Netzwerk:
sagen: Selbstmord ist keine Lösung. Warum haben Sie es getan?«
      »Keine Ahnung«, sagte Kirsten. »In dem Moment hielt ich es für eine gute Idee. Das ist kein Witz. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.«
      Dr. Craven sah sie verdutzt an. »Was meinen Sie damit?«
      »Spazierengehen hat mir keinen Spaß gemacht. Ich war nicht hungrig. Ich hatte keine Lust, ein Buch zu lesen oder fernzusehen. Ich wusste einfach nichts mit mir anzufangen. Dann dachte ich daran, mich zu betrinken ... Ich habe nicht gut geschlafen.«
      »Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, Kirsten. Daran müssen Sie sich erinnern. Wahrscheinlich sollte es mich nicht so überraschen, dass Sie etwas Dummes versucht haben. Wie gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie sich fühlen, aber ich weiß, dass es schrecklich sein muss. Sie müssen jetzt verstehen lernen, dass es keinen schnellen und einfachen Genesungsweg gibt. Ihr Körper sorgt schon für sich selbst, aber Ihre Gefühle sind auch angegriffen worden, vielleicht mehr, als wir wahrhaben wollen. Ruhe wird natürlich helfen, und Geduld, aber Sie werden sich nicht für immer verstecken können. Es wird die Zeit kommen, wo Sie sich aufraffen müssen, wieder zu leben, wieder auszugehen, Leute zu treffen, wo Sie wieder am Leben teilnehmen müssen. Ich weiß, dass das im Moment wahrscheinlich beängstigend klingt, aber genau das müssen Sie sich zum Ziel setzen. Wenn Sie zulassen, dass Sie von Ihren Ängsten beherrscht werden, haben Sie schon verloren. Sie dürfen nicht aufgeben, Sie müssen dagegen ankämpfen. Verstehen Sie, was ich Ihnen zu sagen versuche?«
      »Ich glaube schon«, sagte Kirsten. »Ich ... Ich weiß nur nicht, ob ich das kann. Ich weiß nicht wie.«
      »Ende der Predigt.« Dr. Cravens Lippen formten sich wieder zu einem Lächeln. »Zurück zum Praktischen. Niemand kann Sie zwingen, aber ich rate Ihnen ernsthaft, einen Spezialisten in Bath aufzusuchen, jemanden, der sich mit Ihren Problemen auskennt. Ich kann Ihnen genau die richtige Person empfehlen.«
      »Einen Psychiater, meinen Sie?«
      »Ja. Ich finde, dass es jetzt noch wichtiger geworden ist. Ich werde einen Termin für Sie vereinbaren. Ich will nur eines wissen, Kirsten: Werden Sie auch hingehen?«
      Kirsten drehte ihren Kopf zur Seite und schaute durch das kleine Fenster in die Baumwipfel und den Himmel. Wenigstens hatte es aufgehört zu schneien, dachte sie. Das war das Letzte gewesen, was sie registriert hatte, ehe sie auf dem Teppich liegend aus der Ohnmacht erwachte und würgte. Wie seltsam, dass es im August schneite. Natürlich hatte es gar nicht geschneit; nur ihre Wahrnehmung hatte verrückt gespielt.
      Sie wandte sich wieder an Dr. Craven. »In Ordnung«, sagte sie. »Ich werde hingehen. Ich nehme an, ich habe nichts zu verlieren.«
      »Sie haben eine ganze Menge zu gewinnen, junge Dame«, sagte die Ärztin und tätschelte ihre Hand. »Gut. Ich vereinbare einen Termin und gebe Ihnen Bescheid. Sind Sie sicher, dass Sie sich jetzt körperlich so weit okay fühlen? Keine Nachwirkungen?«
      »Nein, mir geht's gut. Nur ein bisschen benommen. Vor allem komme ich mir dumm vor.«
      »Und das sollten Sie verdammt nochmal auch.« Wieder ganz die Alte stand die Ärztin auf und ging zur Zimmertür. Kurz bevor sie ging, drehte sie sich um und sagte: »Sie können bis morgen früh im Bett bleiben, das ist ganz verständlich für jemanden, der getan hat, was Sie gerade getan haben, aber danach möchte ich Sie munter auf den Beinen sehen. Verstanden?«
      Kirsten nickte. Wieder allein, zog sie die Decke bis zum Kinn und starrte auf den langen, schwachen Riss in der Decke. Ihr Kopf pochte noch und ihr Magen war flau, aber ansonsten schien alles in normalem Zustand zu sein in Anbetracht der Pillenmixtur und der Alkoholmenge, die sie zu sich genommen hatte. Wie Dr. Craven gesagt hatte, hatte keine der Tabletten Zeit gehabt, irgendwelchen Schaden anzurichten, und sie litt mehr unter den Auswirkungen des Scotch, der allein über ihre Magenwände in die Blutbahn geraten war.
      Sie würde zu dem Spezialisten in Bath gehen, beschloss sie. Obwohl sie, nachdem sie in ihren ersten obligatorischen Seminaren sowohl Freud als auch Jung gelesen und abgetan hatte, wenig Vertrauen in die Psychologie hatte, war ihre Verzweiflung groß genug, um alles auszuprobieren. Wenn er nur die dunkle Wolke aus ihrem Kopf bekäme und ihr irgendetwas - egal was - geben konnte, um die schreckliche, kalte

Weitere Kostenlose Bücher