Das Südsee-Virus
Der hohe Holzkohleanteil verhinderte, dass der Tropenregen die Nährstoffe gleich wieder aus dem Boden wusch. Die Terra preta ähnelte einem lebenden Superorganismus. Was lag also näher, als uns ihre Eigenschaften zunutze zu machen? Inzwischen stellen wir die schwarze Erde selbst her. Auf Terra-preta-Böden wachsen Pflanzen doppelt so schnell wie auf normalen Böden und ergeben einen ungleich höheren Ertrag. Außerdem ist ihre Fähigkeit, Wasser zu speichern, enorm. Hinzu kommt, dass die Schwarzerde langfristig beträchtliche Mengen an CO 2 in sich aufnimmt. Aber der eigentliche Zauber, von dem ich sprach, besteht darin, dass wir nun in der Lage sind, auf die chemischen Hilfsprodukte der Agrarindustrie vollständig zu verzichten!«
Cording blickte nach vorn zu den tahitianischen Kriegern, die sich nach fremden Salsaklängen tanzend auf ihren Sitzen versuchten. Zwischen ihnen hätte er nichts zu suchen gehabt. Was er in Anas Staatskarosse auf die Schnelle zu hören bekam, war viel beeindruckender. Maeva hatte ihn gebeten, Kubas neuen Weg für sie im Internet zu kommentieren. Es war übrigens das erste Mal, dass sie seine Ghostwriterqualitäten im vollen Umfang forderte. Die Veröffentlichung war in einigen Tagen geplant, wenn Ana Mariana Sánchez de Varona und Maeva in Havanna den offiziellen Beitritt Kubas zu den URP verkündeten.
»Mal ehrlich, Steve, wie hat dir die Fahrt mit den Mädels gefallen?«, fragte Cording. »Sag schon, wie sind sie, die Ladys aus Anas Leibgarde?«
»Lustig.«
»Lustig. Aha … Ist das alles?«
»Na ja«, antworte Steve ein wenig verlegen, »du hast sie doch gesehen …«
»Na und ob ich die gesehen habe! Prost, mein Lieber!«
Steve winkte ab. »Ich finde nicht, dass wir uns heute betrinken sollten«, sagte er.
»Du hast recht …«, stimmte Cording zu, »ich dachte nur, dass wir vielleicht einen auf Shark … nein? Ach komm, einen!«
Steve schüttelte den Kopf. Cording nahm die Flasche, ging an den Nebentisch und stellte sie den beiden französischen Rucksacktouristen vor die Nase, die sich in der schäbigen, mit lärmenden Kubanern gefüllten Kaschemme umsahen wie in einem Kuriositätenkabinett. In gewisser Weise war sie das auch. Decken und Wände erstickten unter dicken Schichten vergilbter Filmplakate. Der »Andalusische Hund« war darunter, aber auch die »Titanic«. Anna Magnani fehlte ebenso wenig wie Klaus Maria Brandauer (!), Anita Ekberg und zahlreiche andere vergessene und unvergessene Stars des Kinos. Auf der Kachelwand hinter der Bar glänzte Fidel Castro mit einer weißen Taube auf der Schulter. Der Barkeeper erklärte Cording, dass der Vogel dem Comandante während dessen Siegesrede in Havanna zugeflogen war, weswegen die Kubaner den Revolutionsführer von Anfang an als Erlöser betrachtet hatten. Auch die anderen Köpfe der Revolution waren in dieser kleinen Bar in Camagüeys Altstadt verewigt. Camilo Cienfuegos, Che Guevara, Frank País, Raúl Castro, José Antonio Echevarría, Celia Sánchez und Haydée Santamaría – sie alle geisterten zwischen amerikanischen und kubanischen Filmhelden herum und grüßten wie diese aus dem Reich der Toten. Cording leerte sein Glas in einem Zug.
»Das war für Shark«, sagte er und legte Steve die Hand auf die Schulter. Dort blieb sie eine Weile liegen, einfach nur, weil er vergaß, sie herunterzunehmen. Steve entschuldigte sich und ging zur Toilette, vorbei an dem völlig entrückten Pianisten, in dessen virtuosen Klangteppich Cording seine aufkommende Schwermut wickelte.
»Weißt du, wer das ist?«, fragte Steve, als er zurückkehrte. »Chucho Valdés! Der Mann ist weltberühmt, ein Gott des Latino-Jazz. Chucho Valdés – sagt dir nichts, wie ich sehe …«
»Er ist gut«, bemerkte Cording und schnupperte am leeren Rumglas. Er wusste, dass Steve nur darauf wartete, dass er sich einen weiteren Drink genehmigte, dann hätte er ihm endlich die lang ersehnte Gardinenpredigt halten können, aber den Gefallen tat er dem Jungen nicht. Obwohl … Nein.
»Er fehlt mir«, sagte Cording. »Ich kannte ihn zwar kaum, aber irgendwie hat unsere Band nicht mehr den richtigen Drive …«
»Du hast keine Schuld an Sharks Tod«, beruhigte Steve, »hör endlich auf, dich wegen der vertauschten Schlüssel verrückt zu machen.«
»Wusstest du, dass er in Maeva verliebt war?«, unterbrach Cording.
Steve errötete. Der Barkeeper schenkte nach, ohne gefragt worden zu sein. Cording rührte den Rum nicht an. Das volle Glas blieb den
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