Das Südsee-Virus
und entschlossen zugleich. Bis zum Eintreffen des Schiffes würde es noch mindestens eine Stunde dauern, hatte er gesagt. Vielleicht sollte sie sich ein wenig umsehen. Sie stand auf und bemerkte, dass der Findling, an dem sie gelehnt hatte, voller Inschriften war. Die meisten der in Stein gehauenen Namen, Daten und Zeichnungen waren verwittert und kaum noch zu erkennen. Unter anderem glaubte sie eine Hieroglyphe aus der Symbolschrift Rongorongo zu erkennen. Sie erinnerte sich an die schnäbelnden Wesen, die ihr Steve in Sydney als Zeichen der Entschuldigung unter der Zimmertür hindurchgeschoben hatte. Die Zeichnung war aus einem Guss, aus einer einzigen, alles umfassenden Linie. Maeva bückte sich und versuchte die Konturen in den Sand zu malen. So oder so ähnlich hatten die vogelähnlichen Wesen ausgesehen. Sie wischte mit der Hand über die Schnäbel. Die Schnäbel hatten sich nicht berührt, die Vögel waren lediglich an Händen und Füßen miteinander verbunden … so etwa, ja, so war es richtig. Sie suchte nach einem scharfen Gegenstand, einem Stein oder einer Muschel. Sie fand ihn schließlich in Form eines Flaschenhalses, der an den Strand gespült worden war. Es funktionierte nicht. Das Glas brach und hinterließ keinerlei Spuren auf dem Stein. Also griff sie zu einer Muschel und ritzte Steves komische Vögel leuchtend weiß auf dunklen Grund. Sie setzte das Datum dazu und betrachtete zufrieden ihr Werk. Es würde nicht lange halten, aber immerhin hatte sie auf der Kokosinsel ein Zeichen gesetzt. Sie überlegte, ob sie ihren Namen dazuschreiben solle, als ein infernalischer Knall die Luft vibrieren ließ. Hunderte von Vögeln stoben schreiend aus dem Dschungel, als hätte man sie von den Bäumen katapultiert, während in der Bay eine sich überschlagende Rauchwolke den Himmel eroberte. Aus dem Privatflugzeug von Malcolm Double U züngelten meterhohe Flammen, bis sie von der sinkenden Maschine mit sich gezogen wurden und im fauchenden Meer erloschen.
Maeva hatte diesem nur wenige Minuten dauernden Spuk regungslos zugeschaut. Als sie endlich in der Lage war, zurückzulaufen, stellte sie bei den Männern ihrer Leibgarde, auch bei den Piloten und bei Rudolf, nicht etwa Entsetzen, sondern Erleichterung fest. Die taten gerade so, als würden sie sich nach einem Drecksjob die Hände waschen. Fehlte nur noch, dass sie anfingen, sich gegenseitig zu gratulieren. Warum hatte sie den Eindruck, dass die Männer genau dies getan hätten, wenn sie nicht dazugekommen wäre? Sie hatte endgültig genug von der Geheimniskrämerei.
»Kann mir jemand erklären, was hier gespielt wird?!«, rief sie erregt. Ihre Augen loderten wild von einem zum anderen. Als wollte sie jedem einzelnen ihrer Krieger ins Hirn brennen, dass er Zeuge ihrer Qualen geworden war und früher oder später dafür würde zahlen müssen. Rudolf stapfte mit gesenktem Kopf auf sie zu. Er packte sie beim Ellbogen, eine Geste, die er sich normalerweise nie erlaubt hätte, und führte sie an den Rand des Waldes, wo sie sich auf den Wurzeln einer Würgefeige niederließen.
»Ich höre«, sagte Maeva. Ihre Worte klangen scharf und fordernd.
Rudolf, ohnehin kein Meister der Sprache, war wie gelähmt. Er schien an der Antwort, die sich ihm in tausend plumpen Varianten auf die Zunge legte, zu ersticken.
»Wir haben dich entführt!«, platzte es schließlich aus ihm heraus.
Maeva blickte ihn ungläubig, fast mitleidig an. Ihre Augen streiften über Rudolfs Gesicht, als suchten sie nach Indizien für eine plötzliche Geistesverwirrung.
»Dies ist eine Entführung, Maeva«, wiederholte Rudolf. »Du bist eine Geisel der Arioi.« Er hatte sich gefangen, er war in der Lage, ihr die Wahrheit zu sagen, lange genug hatte er sich auf diesen Augenblick vorbereitet. »Jetzt hör mir bitte zu und unterbrich mich nicht«, sagte er und wunderte sich über den drohenden Unterton in seiner Stimme. »Die Arioi haben sich zu diesem Schritt entschlossen, weil sie dein Leben schützen wollen. Wir glauben, dass du dir als URP-Vorsitzende mächtige Feinde gemacht hast, von denen jeder Einzelne inzwischen Grund genug hat, dich ermorden zu lassen. Das ist uns spätestens nach dem Anschlag in Bolivien klar geworden.«
»Es war ein Unfall!«, warf Maeva ein.
»Es sieht immer wie ein Unfall aus«, antwortete Rudolf, »aber bitte unterbrich mich nicht. Ich bin ein Arioi. Wie alle anderen Krieger deiner Leibgarde auch. Wir sind einfache Mitglieder, Soldaten. Wir achten die Weisheit
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