Das Südsee-Virus
wirkungsvoll am Leben zu halten.«
Inzwischen sind Steve und ich von San José nach Puerto Quepos gereist. Der Junge klappert gerade die Schifffahrtsbüros nach einer Passage auf die Kokosinsel ab. Er ist davon überzeugt, dass wir dort Spuren finden, die uns Aufschluss über Maevas Verbleib geben werden. Ich könnte ihm die Wahrheit sagen, aber will ich das? Er würde es nicht verstehen. Das Dumme ist nur, dass ich in seiner Gegenwart gezwungen bin, eine ähnliche Betroffenheit an den Tag zu legen wie er. Eines Tages, das spüre ich, werde ich ihm nicht mehr unter die Augen treten können. Ebenso wenig wie ich Maeva künftig unter die Augen treten kann …
Das Treffen der Arioi auf dem Te Pari dauerte seit Sonnenaufgang an, aber noch immer waren sich die Erlauchten des Geheimbundes nicht einig, was mit Maeva geschehen sollte. Allerdings war die Zahl derer, die für eine Rückkehr der Entführten ins Präsidentenamt plädierten, in den vergangenen sechs Stunden auf elf geschrumpft. Die restlichen neunundzwanzig, allen voran Rauura, sprachen sich dafür aus, Maeva ohne Umwege nach Rapa Iti zu verbringen. Die vierzig Quadratkilometer große Insel lag südöstlich von Tahiti und war etwa so weit entfernt wie die Marquesas in nordöstlicher Richtung. Ihr Vorteil: Sie wurde hauptsächlich von Arioi bewohnt, und zwar in wechselnden Besetzungen. Nachdem die ursprünglichen Bewohner die schwer zu versorgende Insel Anfang des Jahrtausends nach und nach verlassen hatten, nutzte der Geheimbund Rapa Iti als »spirituelle Waschanlage«, wie es unter den Mitgliedern scherzhaft hieß. Einmal pro Jahr wurden die zweihundert Arioi auf der Insel ausgetauscht und durch neue ersetzt. Die Zivilisation, die auf Iti einmal schüchtern Einzug gehalten hatte, war unter den Arioi in den letzten zwanzig Jahren weitgehend verbannt worden. Es gab keine Fahrzeuge, keine Telefone, keine Zeitungen, Fernseher oder Computer. Der ideale Platz, so Rauura spöttisch, um einer erschöpften Priesterin der Tiefenökologie jenes Umfeld zu bieten, das mit ihren wahren Bedürfnissen in Einklang stand.
Omai stimmte für eine Wiedereinsetzung von Maeva als Präsidentin Tahitis. Am Ende aber mussten er und seine zehn Mitstreiter einsehen, dass es wohl kaum gelingen würde, Maeva im Zaum zu halten, wenn man ihr weiterhin gestattete, Politik zu betreiben. Es stand zu befürchten, dass sie ihre Macht als Präsidentin nutzen würde, um den Geheimbund der Arioi wegen ihrer gewaltsamen Entmachtung als URP-Vorsitzende vor aller Welt bloßzustellen. Von einer Verbannung Maevas, wie einige seiner Kritiker geklagt hatten, wollte Rauura in seinem Schlusswort nichts wissen. »Wer von euch allerdings der Meinung ist, dass wir jemanden verbannen, wenn wir ihm die Chance geben, den Ballast der Welt abzuwerfen, wer glaubt, dass ein Leben mit und in der freien Natur einem Gefängnisaufenthalt gleicht, der soll diese Maßnahme ruhig Verbannung nennen.«
Omai hasste Rauura für dessen eiskalte Rhetorik, die sich anfühlte, als würde er ihm mit dem Seziermesser in die Seele ritzen. Der Schamane wusste genau, wie schwer sich Omai mit der Entführung seiner Schwester tat, die er mehr liebte als sich selbst.
Drei Tage hatten Steve und Cording in Puerto Quepos warten müssen, bis das Schiff endlich auslief. Bevor nicht mindestens dreißig Tickets verkauft waren, legte die »Aaros« nicht ab. Das Boot gehörte den »Freunden der Kokosinsel«, und die benötigten nun einmal dreißig Tagestouristen pro Passage, um auf ihre Kosten zu kommen. Rechnete man die sechsunddreißigstündige Überfahrt hinzu, hatten sie fast fünf Tage verloren, seit sie in Costa Rica angekommen waren. Wer weiß, wie lange sie noch hätten warten müssen, wenn sie nicht zusätzlich zu ihren eigenen auch noch die restlichen drei Tickets gekauft hätten. Aber es machte Sinn, die Reise auf sich zu nehmen. Inzwischen stand nämlich fest, dass das Flugzeug in unmittelbarer Nähe der Kokosinsel abgestürzt war, man hatte das Wrack geortet. Soweit Steve in Erfahrung bringen konnte, war ein Tauchtrupp der US Navy vor Ort – auf Bitten der Regierung in San José.
Die »Aaros« ging in der Waferbucht im Westen der Insel vor Anker. Steve hatte gehofft, dass sie auf die Bioexkursion verzichten und ihrer eigenen Wege gehen konnten. Aber bevor sie an Land gingen, machte man ihnen unmissverständlich klar, dass die Gruppe zusammenzubleiben hatte. Die wenigen geduldeten Besucher durften sich in diesem Paradies nur sehr
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