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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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haben wir von unten nach oben gebaut, eine ziemlich ungewöhnliche Methode. Aber ebenso wichtig wie das Wasser ist der Kompost. Der Mist unserer Kühe ist dafür unerlässlich. Es ist vor allem der Kompost, der die Wüste lebendig macht.«
    Cording schaute zu Maeva hinüber. Sie war kaum noch auszumachen zwischen den Rindern, die stoisch wiederkäuend um sie herum standen und ihr vorsichtig die feuchten Schnauzen darboten. Steve schlich sich mit seiner Kamera an, kehrte aber erschreckt um, als sich eine Kuh aus dem Verbund löste und gemütlich auf ihn zutrabte. Gemeinsam warteten sie darauf, dass Maeva den Kreis der Rindviecher verließ. Aber da sie keinerlei Anstalten machte aufzustehen, entschied Fathallah, ohne sie nach NAFU Town zurückzukehren.
    Als das Boot die Riffpassage Avamo’a auf Raiatea passierte, stellten die vierundzwanzig Männer an Bord die Ruderblätter auf – im Gedenken an ihre Ahnen, die hier auf dem Weg zur königlichen Kultstätte Taputapuatea seit Jahrhunderten angelandet waren. Das Reise-Va’a, mit dem die erlauchte Gesellschaft von Tahiti aus übergesetzt hatte, entsprach der traditionellen Bauweise. Es bestand aus zwei Bootskörpern, die sich gegenseitig stabilisierten. Die gebogenen Seitenwände erlaubten das Mitführen größerer Lasten und erhöhten die Sicherheit, weshalb man diese Form vorzugsweise auf größeren Reisen einsetzte.
    Nachdem sie die Piroge auf den schwarzen Sandstrand gezogen hatten, machten sich die Männer auf in das Opoatal, wo sich der Marae Taputapuatea befand, die heiligste Stätte Polynesiens. Omai und Rauura gingen voran. Sie standen in der Hierarchie des Geheimbundes ganz oben. Auf ihr Gefolge konnten sie sich verlassen, die Leute waren handverlesen. Um Mitglied der Arioi zu werden, war nicht nur die gesellschaftliche Stellung des Bewerbers ausschlaggebend, sondern ebenso sein spirituelles Potenzial. Ein wichtiges Kriterium für die Aufnahme in den Bund war, ob jemand, den man zuvor in Trance versetzt hatte, die Kraft fand, sich im Zentrum einer Arioi-Versammlung den kritischen Blicken der Mitglieder zu stellen. Außerdem erforderlich: ein schöner Wuchs, Geschicklichkeit in der Rezitation, im Tanz und in der Pantomime sowie die Kenntnis religiöser Texte.
    Mit der Initiation erwarb das Neumitglied das Recht, seinen Körper mit der geheimen Tattoosprache der Arioi zu schmücken. Es begann mit einem ringförmigen Muster um die Fußknöchel, wurde aber kunstvoller und umfangreicher, je höher jemand im Rang stieg. Einem Arioi war es nicht gestattet, Nachfolger zu zeugen. Damit wollte man sicherstellen, dass die Blutslinien keine Oberhand gewannen im Bund, was, wie man glaubte, zu überflüssigen Machtspielen geführt hätte. Im Allgemeinen blieb ein Arioi in der Gesellschaft bis zum fünfunddreißigsten Lebensjahr tätig. Auch nach seinem Ausscheiden galt für ihn das Gebot der Verschwiegenheit.
    Omai war den Arioi bereits im Alter von achtzehn Jahren beigetreten, nicht einmal seine Schwester wusste davon. Die Arioi wirkten im Verborgenen, das hatten sie seit ihrer Gründung im siebzehnten Jahrhundert immer getan. Der Bund begriff sich als »Hüter des Wissens« und sah sich ausschließlich dem Kriegsgott Oro verpflichtet, wobei der Orden dem Begriff Krieg inzwischen eine gänzlich andere Bedeutung beimaß. Krieg wurde nicht länger als bewaffnete Auseinandersetzung definiert, unter Krieg verstanden die Arioi eine permanente Abwehrschlacht gegen die zersetzenden Einflüsse der Moderne. In dieser Schlacht agierten sie sowohl mit politischen wie mit spirituellen Mitteln. Die vier Treffen im Jahr auf dem Marae Taputapuatea dienten dazu, den geistigen Schutzschirm zu erneuern, den die Arioi mithilfe Oros und seiner Geister über Tahiti und seine Inseln gespannt hatten.
    Als die 24 Männer die Kultstätte erreichten, hielten sie ehrfürchtig inne. Die drei knorrigen Bäume, die an der Stirnseite und den Flanken des Maraes dem Wind trotzten, schienen sich vor ihnen zu verneigen. Wie immer, wenn er nach Taputapuatea kam, war Omai auch dieses Mal aufs Tiefste beeindruckt von der Majestät des Platzes. Das steinerne Quadrat mit seinen brusthohen Mauern und dem unbehauenen Obelisken war vom Passat und der Sonne über Jahrhunderte gewaschen und in den Stand der absoluten Reinheit erhoben worden. Die Stätte wechselte ständig ihre Farbe, sie reagierte auf Tages- und Jahreszeiten, jedes Licht veredelte sich in den Steinen auf seine Weise und musste doch wieder weichen,

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