Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Lippen verrieten Findigkeit und Gewitztheit und machten die vielleicht mangelnde Körperkraft wett. Seine lange Herrschaft über die Luachra war beredtes Zeugnis für seine Geistesstärke.
Zur Begrüßung erwartete sie Fidaig stehend. Schmunzelnd blickte er von einem zum anderen.
»Seid mir willkommen in meinem bescheidenen Lager. Gern hätte ich euch auf meiner Festung in den Bergen fürstlicher empfangen, aber ich bin, wie ihr seht, auf Reisen undkann euch leider nur das behelfsmäßige Zelt eines armen Kriegers bieten.«
»Das klingt sehr freundlich, aber die Art und Weise, mit der man mich und meine Gefährten unterwegs begrüßt hat, war weniger schmeichelnd.« Fidelmas Stimme klang frostig.
Fidaig tat überrascht. »Man ist euch nicht zuvorkommend begegnet? Dann muss ich meinen Sohn Artgal tadeln. Er hatte den Auftrag, euch als meine Gäste willkommen zu heißen. Ich hatte gehört, dass du mit deinen Gefährten in mein Gebiet reiten würdest, und war sicher, dass du, wie es der Brauch ist, mir die Ehre erweisen wolltest. Da ich aber nicht auf meiner Festung war und befürchten musste, du würdest nicht wissen, wo ich mein Lager aufgeschlagen hatte, habe ich meinen Sohn und seine Männer losgeschickt, euch entgegenzureiten und hierher zu geleiten.«
Sein Ton verriet keine Spur von Sarkasmus, der sehr wohl in seinen Worten lag. Artgal stand hinter dem Stuhl seines Vaters und schien von dessen Tadel unberührt. Fidaig klatschte in die Hände und bedeutete seinen Bediensteten, Stühle zu bringen, damit sich alle setzen konnten.
»Lasst uns etwas trinken und darüber sprechen, was euch hierher führt.« Fidaig ließ sich auf einen Stuhl mit hoher Lehne sinken und lächelte sie freundlich an, während sie nur zögernd Platz nahmen. »Ich habe veranlasst, dass man Schlafmöglichkeiten für euch bereitet, und am späteren Abend werden wir auch speisen. Leider sind die Waschgelegenheiten etwas bescheiden, aber es handelt sich, wie ihr bemerkt haben werdet, um ein Feldlager, doch immerhin an einem Fluss.«
Ein junger Diener erschien, füllte ihnen Becher mit corma, zog sich an die eine Zeltwand zurück und wartete dort auf weitere Aufträge.
»Ein Feldlager?«, wiederholte Fidelma ungerührt. »Gegen wen gedenkst du denn zu Felde zu ziehen?«
Fidaig lachte. »Alljährlich gibt es Säumige unter denen, die ihrem Herrn und Gebieter den Tribut zu zahlen haben. Immer wieder um diese Zeit muss ich meine behagliche Festung verlassen und sie an ihre Pflicht erinnern. Besonders auffällig ist diese Widersetzlichkeit an den Grenzen meines Gebiets. Genauer gesagt, da, wo meine Leute euch gefunden haben.«
»Woher wusstest du, dass wir just dort unterwegs waren?«, fragte Eadulf, der sich nicht länger zurückhalten konnte.
»Das war ein Leichtes, mein sächsischer Freund. Überhaupt keine Schwierigkeit. Ein Stammesfürst, der nicht weiß, was in seinem Gebiet vor sich geht, ist ein schlechter Herrscher.«
Nachdenklich schürzte Fidelma die Lippen. »Dann wusstest du also auch, dass wir Menmas Gehöft aufgesucht haben?«
Fidaig stutzte. »Menma? Der ist lange tot.«
»Nicht nur er. Auch die ganze Familie. Ich nehme an, du kanntest ihn?«
Er bestätigte die Frage mit einem leichten Kopfneigen. »Ja. Er war einer der wenigen, die ohne Verzug ihren Abgabenpflichten nachkamen. Das Gebiet, über das er bó-aire war, ist in dieser Beziehung recht nachlässig geworden in letzter Zeit. Ich muss dafür Sorge tragen, dass er durch jemand ersetzt wird, der die Bauern anhält, ihre Abgaben zu entrichten.«
»Du weißt, was mit ihm geschah? Mit Menma, meine ich.«
Er sah sie erstaunt an. »Ist es das, was dich ins Gebiet der Luachra geführt hat? Du möchtest herausfinden, wer ihm Haus und Hof zerstört hat?«
»Genau das ist der Grund«, gab sie unumwunden zu.
Ein verschlagener Blick traf sie. »Ich hätte gedacht, die Antwort ließe sich eher in Cashel finden.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»So wie die Geschichte mir zu Ohren gekommen ist, war es ein Krieger aus der Leibgarde deines Bruders, der die Schreckenstat verübt hat.«
»Und die Erklärung genügt dir?«
»Mich beschäftigt die Sache nicht sonderlich. Das alles ist vor langer Zeit geschehen. Der Krieg ist vorbei, und wir haben seitdem Frieden.«
»Nicht für alle Uí Fidgente sind die alten Wunden geheilt.«
Er schniefte verächtlich. »Wir gehören zu den Luachra. Die Uí Fidgente haben ihre eigenen Probleme.«
»Und die Luachra nicht?«, warf Eadulf
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