Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Haut, denn Fidaig hatte auf einen heiklen Punkt in ihrer Familie angespielt. Auch musste sie an Cúana denken, der ebenfalls von möglicher Rivalität in ihrem Clan gesprochen hatte. Zwar waren die Eóghanacht von Cashel die älteste von Eóghan Mór abstammende Linie, aber bisweilen hatten andere Zweige der Familie, von Locha Léin bis Raithlin, von Áine bis Chilach und Glendamnach, Anspruch auf das Königtum erhoben, und das mit Erfolg. Entstammte nicht sogar Finguine, der gesetzliche Thronnachfolger ihres Bruders, einem Zweig der Eóghanacht Áine? Sie schüttelte den Kopf, wie um die Gedanken zu verscheuchen, und merkte, dass Fidaig sie schmunzelnd beobachtete. Er ahnte wohl, was ihr durch den Sinn gegangen war.
»Die Thronfolge von Cashel kann nur im Rahmen der bestehenden Gesetze erfolgen«, erwiderte sie ungehalten und wehrte den bedrückenden Gedanken ab. »Wer immer versucht hat, die Macht an sich zu reißen, ist letztendlich gescheitert. Selbst Aed Brennán von Locha Léin, dem König, den du gerade erwähnt hast, war kein Erfolg beschieden. Du sagst ja selbst, er hätte sich nur wenige Monate gehalten, dann entschied das rechtmäßige Wahlgremium es anders.«
Fidaig nahm ihre Entgegnung hin. Dann fragte er: »Was hat Menmas Tod mit dem Attentat auf deinen Bruder zu tun?«
»Vielleicht gar nichts, vielleicht auch viel.«
»Sehr viel weiter hilft deine Antwort nicht.«
Fidelma hielt es für angebracht, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben. »Wie ich gehört habe, hast du dich voreinigen Jahren in einen Handel mit einem Mann namens Escmug eingelassen.«
Fidaig zog die Stirn in Falten. »Der Name sagt mir nichts.«
»Vielleicht sagt dir dann der Name Aibell etwas.«
Artgal, der die ganze Zeit hinter dem Stuhl seines Vaters gestanden hatte, beugte sich leicht vor. »Aibell, Vater, die éludach .«
Eadulf brauchte einen Moment, ehe er die Bedeutung des Wortes erfasste – eine Magd, die geflohen war. Ob es richtig war, dass Fidelma jetzt das Gespräch auf Aibell lenkte?
Der Herrscher von Luachra quittierte mit Missvergnügen, dass sein Sohn vorlaut eingestanden hatte, dass sie Aibell kannten. »Das Mädchen ist vor über einer Woche aus meiner Festung entflohen«, gab er zu. »Als éludach kann ihr kein Rechtsschutz gewährt werden, selbst für eine ranghohe Person wie dich verbietet sich das. Wo ist sie?«
»Sie ist an einem sicheren Ort und wird es auch bleiben.«
»Der Handel wurde nach dem Gesetz Gúbretha Caratniad abgeschlossen«, entgegnete Fidaig.
»Ihr Vater hat sie an dich verkauft, ohne das Recht dazu zu haben«, stellte Fidelma richtig. »Im Gúbretha sind Fälle von Eltern aufgeführt, die ihre Kinder als Leibeigene verkauft haben, zumeist an Fremdländische. Ein solches Verhalten wird ausdrücklich verurteilt. Schuldig machen sich beide Seiten, sowohl der Käufer als auch der Verkäufer. In Aibells Fall ist es ein Verbrechen, denn das Mädchen hatte bereits das Alter der Wahl erreicht. Sie war vierzehn, als sie an dich verkauft wurde, galt also zu dem Zeitpunkt als eine freie Frau, die weder an ihren Vater noch an dich gebunden war. Du hast sie vier Jahre lang unrechtmäßig in Leibeigenschaft gehalten.«
»Und du glaubst, das beweisen zu können?«, fragte Fidaig spöttisch.
»Bezweifelst du das?« Fidelma blieb kühl.
Fidaig blickte sie forschend an und versuchte es mit einem Lächeln. »Wir sollten uns nicht wegen einer Leibeigenen streiten.«
»Ich streite nicht«, verbesserte ihn Fidelma. »Was soll mir ein Streit um eine Leibeigene? Es geht um ein eigenständiges junges Mädchen, das du gegen ihren Willen an deinen Haushalt gebunden hast. Das bleibt nicht ohne rechtliche Folgen.«
Fidaig brauste auf. »Bei allen alten Göttern! Morrigú ist gewiss anderer Auffassung als du, Fidelma von Cashel.«
»Wie viel hast du Escmug für das Mädchen gegeben?«, fragte Fidelma ungerührt.
Fidaig brauchte eine Weile, um sich zu beruhigen. »Das ist ziemlich lange her. Ich glaube, ich habe ihm vier screpalls gegeben, den Ehrenpreis des Mädchens. An sich wollte er mehr.«
»Da haben wir’s!«, stellte Fidelma triumphierend fest. »Mit deiner Aussage eben hast du eingestanden, dass dir sehr wohl bewusst war, dass sie das Alter der Wahl erreicht hatte. Vorhin hast du das Gúbretha Caratniad zitiert, also kennst du dich in der Gesetzgebung aus. Wäre sie minderjährig gewesen, hättest du weit mehr zahlen müssen, denn bis zum vierzehnten Lebensjahr hätte ihr Ehrenpreis die
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