Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
vermutlich benutzt hat, um den Suir zu überqueren, verläuft ganz am Ende des Feldes dort.« Er wies über die Koppel seiner Mutter hinweg nach Norden. »Eine andere Furt in der Nähe gibt es nicht, erst weiter nordwärts kommt dann die Brücke.« Seine nächste Frage galt dem Mädchen. »Willst du uns weismachen, du wärest über die Koppel gestapft, in den Wald hier geraten und hättest ganz zufällig die Hütte gefunden? Oder hat dich jemand hierher geführt?«
Aibell sah ihn böse an. »Ich habe nichts davon gesagt, dass ich ganz zufällig hier gelandet bin.«
»Das stimmt«, meinte Fidelma in ruhigem Ton. »Gerade deshalb hätten wir gern gewusst, wie du ausgerechnet hier gelandet bist.«
»Ganz einfach. Ich erfuhr, dass es hier eine Hütte gibt.«
»Von wem?«
»Von einem Mann, der schon früh nach seinen Schafen auf der Weide sehen ging.«
Fidelma war der Verzweiflung nahe. »Ein Mann, der reinzufällig in der Morgendämmerung hier entlangkam? Das sollen wir dir glauben?«
»Braucht ihr ja nicht. Aber es ist die Wahrheit.«
»Weshalb bist du hier, Aibell?«
Sie lachte hell auf. »Weshalb sollte ich nicht hier sein?«
»Aus welchem Grund bist du hier in Cashel?«, fragte Fidelma noch einmal.
»Weil ich hier haltgemacht habe, um mich auszuruhen. Hätte man mich in Frieden gelassen, hätte ich um Mittag schon ganz woanders sein können.«
»Bruder Lennán!«, rief Eadulf für die anderen völlig unerwartet. »Was hast du mit ihm zu schaffen?«
Sie sah ihn verwundert an. »Ich kenne niemand, der so heißt, und außerdem habe ich eure Fragen satt.«
»Wir haben es ebenso satt, sie zu stellen und keine überzeugenden Antworten zu bekommen«, entgegnete Gormán gereizt.
»Ich antworte, so gut ich kann. Wenn ihr mit meinen Antworten immer noch nicht zufrieden seid, ist das nicht meine Sache.«
»Oh, ich fürchte doch«, sagte Fidelma bestimmt. »Du wirst jetzt schön mit uns kommen und so lange bleiben, bis wir glauben, dass du uns die Wahrheit sagst.«
»Mit welchem Recht bestehst du auf so einer Forderung?«, fauchte Aibell wieder in ihrer aufsässigen Art.
»Mit dem Recht einer dálaigh , mit dem Recht des Obersten Brehon dieses Königreiches, mit dem Recht …«
Sie brach ab, denn Aibell schnaubte nur verächtlich. Es lohnte nicht, noch mehr Zeit an sie zu verschwenden. »Eadulf, du hilfst mir bitte beim Tragen der Sachen, die Gormán in der Hütte gefunden hat. Und du, Gormán, nimm das Mädchen in Gewahrsam. Wir haben lange genug hier herumgestanden.Wir gehen zu Della, wo wir uns die gefundenen Sachen in Ruhe anschauen können.«
Sogleich setzte das Mädchen zur Gegenwehr an, aber Gormán packte sie fest am rechten Arm.
»Auf Anweisung der Schwester des Königs, einer Anwältin bei den Hohen Gerichten, kommst du jetzt mit, bis du uns davon überzeugt hast, dass die Auskunft, die du über dich gibst, der Wahrheit entspricht. Dir stehen zwei Wege offen – entweder du kommst freiwillig mit, oder es geschieht mit Gewalt.«
Er erntete einen wütenden Blick. »Untersteh dich, mich anzufassen!«, zischte sie, aber sehr überzeugend klang es nicht.
»Wenn nötig, werde ich es tun«, warnte er sie. »Versuch es also nicht wieder mit dem Messer, es könnte dir diesmal schlecht ergehen.«
Sie starrten sich an. Aibell begriff, dass es ihm ernst war. Sie fügte sich, schützte Gleichgültigkeit vor und trottete neben ihm her. Sicherheitshalber hielt Gormán das Schwert griffbereit.
Eadulf und Fidelma hoben die Satteltasche und die Reitausrüstung auf und machten sich ebenfalls auf den Weg. Della sah sie schon von weitem über die Koppel kommen und öffnete das Gatter. Mit leichter Verwunderung nahm sie das junge Mädchen zur Kenntnis.
»Wir müssen dich noch einmal kurz um deine Gastfreundschaft bitten, Della«, sagte Fidelma.
»Nur herein, Lady, ihr seid mir stets willkommen.«
»Das hier ist Aibell«, stellte Fidelma vor und betrat das Haus.
Eadulf legte Sattel und Zaumzeug draußen unter das Vordach. Man versammelte sich in dem großen Raum, wo brennende Holzscheite eine angenehme Wärme verbreiteten. Ausdem Kessel über dem Feuer strömte einladender Duft. Obwohl der blassgelbe Sonnenball nur herbstliches Morgenlicht abgab, ließen die nach Süden gehenden Fenster genügend Helligkeit hinein.
Della bat sie, sich zu setzen, und fragte, was sie für ihr leibliches Wohl tun könnte. Fidelma war aufgefallen, dass ihr junger Gast sehnsüchtige Blicke auf den verheißungsvollen Kessel warf und
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