Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
habe den Fluss überquert, da sah ich ein Mädchen unter einem Baum und habe angehalten.«
»Hast du nicht eben gesagt, das Mädchen hat dich angehalten?«, fragte Eadulf sarkastisch.
Der Händler ließ sich nicht beirren. »Ja, so war das, Bruder. Das war so. Sie hat mich gefragt, ob ich sie bis Cashel mitnehmen kann. Und weil ich großherzig bin, habe ich das gemacht.«
»Hat sie dir erzählt, warum sie um Mitternacht unter einem Baum kampiert hat?«
Der dicke Händler zuckte die Achseln. »Ich habe sie für eine Landstreicherin gehalten. Es gibt doch immer welche, die umherwandern und Arbeit suchen. Zu trauen ist denen nicht.«
»Nicht zu trauen? Weshalb hast du sie dann mitgenommen?«
Ordan grinste verschlagen. »Habe ich nicht schon gesagt, dass ich von Herzen großmütig bin? Ich kann es nicht ertragen, wenn ein armes Geschöpf Not leidet und kein warmes Strohbett hat zum Nachtlager.«
»Du hast sie also bis nach Cashel mitgenommen und sie dann in dunkler Nacht von deinem Wagen springen lassen, ehe du in den Ort eingefahren bist. Aber sie war doch fremd in der Gegend hier und kannte sich überhaupt nicht aus, hätte dir da deine Großmut nicht sagen müssen, setze sie vor einem bruden oder Gasthaus ab?«
»Sie bestand darauf, am Ortseingang abzusteigen. Ehrlich gesagt, ich war froh, sie loszuwerden. Die war so was von kratzbürstig, Bruder Eadulf. Die hätte mich glatt anfallen und ausrauben können, die hatte ein Messer bei sich, und das war spitz und scharf.«
»Woher weißt du das? War da etwas, weswegen du das Messer zu sehen bekamst?«
Die rötlichen Flecken im Gesicht des Dickwansts wurden eine Schattierung dunkler. »Zwischen uns ist nichts vorgefallen, und wenn sie etwas anderes erzählt hat, dann lügt sie. Ich bin ein ehrenwerter Kaufmann und habe Freunde an hohen Stellen. Das Mädchen war eine Landstreicherin, und ich war froh, sie loszuwerden.«
»Du hast das Mädchen nicht gekannt, bevor du sie an der Eselsfurt getroffen hast?«, fragte Fidelma.
»Nein.«
»Auch im Gebiet der Luachra bist du ihr nicht begegnet?«
Der Händler zuckte zusammen. »Die Luachra? Warum erwähnst du gerade die?«
»Soviel ich weiß, ist der kürzeste Weg von den Eóghanacht Locha Léin bis hierher der durch die Berge der Luachra.«
Er zögerte kurz und sagte dann bestimmt: »Ich habe dir die Wahrheit gesagt, ich habe sie zum ersten Mal gesehen, als ich den Suir überquerte.«
Über Fidelmas Gesicht glitt ein Lächeln. »Dann wollen wirdich nicht länger aufhalten, da kommt gerade ein Planwagen, das dürfte der Schmied sein, den du erwartest.«
Sie wendete ihr Pferd, und Eadulf folgte ihr. Verdutzt schaute ihnen der Händler nach.
»Ich denke, er hat im Wesentlichen die Wahrheit gesagt«, bemerkte Eadulf, »bis auf die Tatsache …«
»Bis auf die Tatsache, dass Aibell froh sein konnte, ein Messer bei sich zu haben, bei so einem Kerl wie Ordan«, ergänzte Fidelma bissig. Sie drehte sich um und winkte Alchú und Gormán heran.
»Was machen wir nun?«, fragte Eadulf. »Allem Anschein nach hat uns das Mädchen nicht belogen.«
»Wie sie nach Cashel gelangt ist? Ja, das könnte stimmen, dennoch müssen wir jede denkbare Spur verfolgen. An bloße Zufälle glaube ich nicht. Der Name Liamuin bleibt weiterhin wichtig. Auch können wir nicht außer Acht lassen, dass sie sich ausgerechnet dort aufgehalten hat, wo der Mörder sich verkleidet hat.«
»Aber merkwürdige Zufälle gibt es schon«, widersprach Eadulf.
»Das zu bestreiten wäre töricht«, räumte sie ein, »doch bloß von Vermutungen auszugehen, empfiehlt sich grundsätzlich nicht bei der Aufklärung eines Falls.«
»Dann müssen wir versuchen, den Schäfer ausfindig zu machen, von dem Nessán gesprochen hat.«
»Der Meinung bin ich auch. Wenn er derjenige war, der dem Mädchen die Hütte gezeigt hat, dann würde das einen weiteren Teil der Geschichte bestätigen, die sie uns erzählt hat. Trotzdem bleiben noch genug andere Fragen offen.«
Sie fanden den Schäfer Spelán in Rumanns Schenke am Marktplatz der Ortschaft. Fidelma und Eadulf fragten denWirt nach dem Hirten, und der wies auf einen Gast neben der Herdstelle, in der Torfbrocken glühten. Der Mann erhob sich ängstlich, aber Fidelma bedeutete ihm, sitzen zu bleiben.
»Ich habe gehört, eins von deinen Schafen ist krank, Spelán«, fing sie das Gespräch an und setzte sich ihm gegenüber.
Einen glücklichen Eindruck machte der Schäfer nicht. »Ja, ein Mutterschaf war krank,
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