Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Schafe ihre Lämmer werfen oder wenn die Schafschur beginnt. Und auch sonst treffen wir uns oft abends in der Schenke bei Rumann.«
»Kennst du vielleicht jemand, der seine Herde auf der Westseite weidet, gleich hinter Dellas Gehöft, und der heute Morgen schon zeitig unterwegs war? Ich muss einen Mann finden, einen Schäfer, der bereits vor der Morgendämmerung auf den Beinen war. Er müsse sich um seine Schafe kümmern, hat er gesagt. Kannst du dir denken, wer das gewesen sein könnte?«
Nessán hatte sofort eine Antwort parat. »Das wird Spelán gewesen sein. Der weidet seine Herde neben dem Steinpfad westlich von Dellas Haus. Gestern Abend war ich mit ihm in der Schenke. Da hat er davon geredet, dass er wegen eines seiner Mutterschafe sehr in Sorge ist. Das wird ihn getrieben haben, heute ganz früh aufzustehen und nach dem Tier zu sehen.«
»Spelán? Den kenne ich nicht.« Fragend blickte sie zu Gormán, und der junge Krieger nickte eifrig.
»Ich kenne ihn, wenn der nicht bei seiner Herde ist, findest du ihn sicher in Rumanns Schenke. Da ist der Stammtisch, an dem sich alle Schäfer hier aus der Gegend treffen.«
Sie verabschiedeten sich von Nessán und ritten weiter.
Ordans rath war kein ordentliches rath, wie Gormán vorhergesagt hatte. Der Versuch, Festungswälle aufzuschütten, war in einem Graben steckengeblieben, der nicht mal das Vieh hindern würde auszuschwärmen. Die Toreinfahrt zum Gehöft sollte allerdings etwas Besonderes darstellen. Sie wurde von zwei Steinpfeilern flankiert, zwischen denen man auf den großen Hof bis vor das einstöckige Steinhaus fahren konnte. Auf jedem der Pfeiler waren aus Stein gehauene Gänse mit hochgereckten Schnäbeln und ausgebreiteten Flügeln, als wollten sie die Besucher verscheuchen. Ein merkwürdiges Sinnbild für einen Kaufmann, fand Eadulf. Das Gebäude sollte den aristokratischen Bestrebungen seines EigentümersAusdruck verleihen, konnte sich aber nicht mit den Häusern der Adligen messen, die Eadulf vielerorts im Lande gesehen hatte. Auf einer Hofseite befanden sich große Schuppen, vermutlich für die Lagerung von Waren, und davor standen zwei Planwagen. Gegenüber sah man Stallungen, was darauf hindeutete, dass Ordan sich selbst versorgte. In einem Pferch grunzten Schweine, und in einer Umzäunung bewegten sich träge mehrere Milchkühe. Auf dem Hof machten sich drei oder vier Leute zu schaffen. Einer von ihnen hatte die Ankömmlinge erspäht und war ins Haus gelaufen, um seinem Herrn die Ankunft von Gästen zu melden, wie man sich denken konnte.
Wenig später kam ein Mann heraus, ging durch den Vorbau und war zur Stelle, als sie vor dem Haupthaus anhielten. Er war fast kahlköpfig und hatte eine gewichtige Figur. Die Augen verschwanden beinahe im Mondgesicht. Die aufgeworfenen Lippen wirkten unschön, selbst wenn sie geschlossen waren. Auf den feisten und bleichen Wangen hoben sich ungesunde rötliche Flecken ab. Gekleidet war er in gewiss gutem Tuch, doch konnten die Sachen die unvorteilhaften Proportionen des Körpers nicht verbergen. Während er unter ständigen Bücklingen auf die Gäste zuging, rieb er sich immerzu die dicklichen Hände.
»Lady Fidelma! Bruder Eadulf! Was für eine Ehre für mich. Ich fühle mich geschmeichelt, dass ihr meine bescheidene Behausung aufsucht. Ihr seid mir höchst willkommen.«
Klein-Alchú, der auf seinem Pony hinter Eadulf und neben Gormán saß, fragte laut: »Wer ist der hässliche, dicke Mann da, Mutter?«
Fidelma presste die Lippen zusammen, um ihre verräterisch zuckenden Mundwinkel zu beherrschen. Ordans Schnaufer hingegen sollte wie ein Lacher klingen.
»Der kleine Prinz hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg.«
»Es wäre schön, wenn alle Menschen so geradeheraus sagten, was sie denken«, brummelte Eadulf fromm.
»Steigt ab, kommt herein. Mein Verwalter kümmert sich selbstverständlich um eure Pferde.«
»Wir wollen gleich weiter und bleiben im Sattel, ohne deine Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen«, entgegnete Fidelma bestimmt. »Ich habe nur eine kurze Frage.«
Ordan war die Enttäuschung anzumerken, hatte er sich doch schon ausgemalt, wie er die Schwester des Königs bewirtete. Das hätte er anschließend so gern stolz jedem erzählt.
»Ganz, wie es dir beliebt, Lady. Doch mein bescheidenes Heim ist dein Heim, du brauchst nur einen Wunsch zu äußern.« Dabei verbeugte er sich unaufhörlich, was alle unangenehm berührte.
»Warum macht der Mann das?«, krähte Alchú. »Der sieht
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