Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
werden wir von Gormán aus meines Bruders Leibgarde. Wir bitten um Nachsicht für unser ungewöhnliches Auftreten. Auf unserer Reise hierher wurden wir von Räubern überfallen, und sie nahmen uns all unsere Wertsachen und Amtszeichen.«
Zweifelsohne hatte der Verwalter ihn auch davon inKenntnis gesetzt. Er blickte sie mitfühlend an und bat sie, Platz zu nehmen.
»Setzt euch. Wie mein Verwalter mir mitteilte, soll der Attentäter ein Mitglied unserer Bruderschaft sein. Wer also ist es?«
»Ich fürchte, wir sollten eher fragen, wer er war«, entgegnete Fidelma ernst. »Der Attentäter wurde getötet, nachdem er leider zuvor meinen Bruder schwer verwundet und den Obersten Brehon von Muman ermordet hat.«
»Wenn der Attentäter tot ist, wie will man da wissen, dass er aus unserer Abtei war?«, versuchte sich der Abt zu verteidigen.
Eadulf fragte sich, ob der Abt aus Schuldbewusstsein in Abwehrstellung ging oder ob in seinem Hinterkopf etwas anderes eine Rolle spielte: Als »Vater« seiner Gemeinde trug er nämlich die Verantwortung für die Geldstrafen und Entschädigungen, die zu zahlen waren, wenn einer aus seiner Gemeinde ein Verbrechen beging. Würde Colgú sterben, würde ein Wert von achtundvierzig Milchkühen in Betracht kommen. Allein der Tod des Obersten Brehon von Muman kostete eine Buße von zweiundvierzig Milchkühen. Eadulf schreckte innerlich zusammen – das jetzt war nicht die Zeit, an so etwas zu denken.
»Der Mann kam in die Große Halle, wo mein Bruder einem Festmahl zu Ehren des heiligen Colmán vorsaß. Der Mönch hatte sich als Mitglied eurer Abtei ausgegeben, behauptet, eine Botschaft von dir überbringen zu müssen, und sich so Zugang verschafft. Er nannte sich Bruder Lennán.«
»Bruder Lennán!«, entfuhr es Bruder Cuineáin.
Rasch drehte sich Fidelma zu ihm um. »Der Name sagt euch also etwas?«
Der Abt hatte sich mit betroffener Miene zurückgelehnt.
»Ja, der Name ist uns nicht fremd«, bestätigte er. »BruderCuineáin, geh doch bitte und schau nach Bruder Ledbán. Bring ihn zu uns, wenn du ihn gefunden hast, verschweige ihm aber den Grund.«
Der Verwalter nickte und entfernte sich eilends.
Als er gegangen war, beugte sich Abt Nannid leicht vor und bat: »Kannst du die Umstände, wie das alles geschah, etwas näher erklären? Und kannst du mir diesen Bruder Lennán beschreiben?«
Fidelma schilderte in kurzen Sätzen den Sachverhalt. Sie war gerade fertig, da klopfte es. Bruder Cuineáin erschien in der Tür und trat zur Seite, um zwei Klosterbrüder einzulassen.
Den einen erkannten sie als Bruder Lugna, den freundlichen Stallmeister, der sie bei ihrer Ankunft begrüßt hatte. Der andere war ein alter Mann, der sich nur mit Mühe vorwärtsbewegte, sich an den Arm seines Begleiters klammerte und sich mit der anderen Hand auf einen kräftigen Stock aus Schwarzdorn stützte. Sein Rücken war gekrümmt, die Haut spannte sich wie Pergament über die hervorstehenden Knochen und eingefallenen Wangen. Mit Hilfe von Bruder Lugna schlurfte der Alte mühsam zum Pult des Abts.
Mit einem verlegenen Lächeln erklärte Bruder Lugna den Gästen: »Bruder Ledbán ist vor kurzem gestürzt, deshalb helfe ich ihm ein wenig. Er war früher echere hier, hat bei mir mit in den Ställen gearbeitet.«
»Du hast Fidelma von Cashel vor dir«, erläuterte der Abt mit lauter Stimme; offensichtlich war der Mann schwerhörig. »Sie ist eine dálaigh , und du musst ihre Fragen beantworten.«
Der alte Mann sah sie mit farblosen Augen erwartungsvoll an. Doch dann war es der Abt, der ihn zum Sprechen aufforderte.
»Sag ihr, wie du heißt.«
»Ich bin Bruder Ledbán«, krächzte er. »Als ich herkam, habeich als Stallknecht gearbeitet. Früher haben sie mich Ledbán, der Klagende genannt, aber das war … das war …« Nachdenklich verdrehte er die Augen. »Das war vor vielen Jahren.«
»Und jetzt erzähl ihr etwas von Bruder Lennán«, verlangte der Abt weiter.
»Lennán? Wieso, das war mein Sohn.«
»Dein Sohn?« Fidelma war erschrocken zusammengefahren, und auch Eadulf schnappte hörbar nach Luft.
Der Alte schaute unverwandt den Abt an und fuhr fort, ohne sich von Fidelma ablenken zu lassen: »Er war mein leibhaftiger Sohn, ich liebte ihn über alles, sind doch Blutsbande die engsten Bande, die es gibt.«
»Und wusstest du, dass er tot ist?«, fragte der Abt sacht.
Die Mimik des Mannes veränderte sich. Er war empört und verstört zugleich. »Du weißt es doch selbst, man hat ihn
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