Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
erwehren, ohne selbst zum Angreifer zu werden.
Als die Gestalt zum nächsten Schlag ausholte, schlüpfte Fidelma unter den erhobenen Arm und suchte ihn zu packen, um den Angreifer so vorwärtszureißen und durch seinen eigenen Schwung zu Fall zu bringen. Doch ihr Gegner erahnte ihre Absicht und sprang zur Seite. Das war ein kluges Ausweichen, und sie durchzuckte der Gedanke, dass er die Kampftaktik genauso beherrschte wie sie. In dem Moment, als der Gegner auswich, war sie vorgesprungen, aber er gewann die Balance schneller als sie und hielt die Waffe immer noch hoch. Im Bruchteil einer Sekunde wusste sie, was geschehen würde. Das Holzscheit traf sie an der Schläfe, und ihr wurde schwarz vor Augen.
Kapitel 11
Das Erste, was Fidelma verschwommen wahrnahm, als sie wieder das Bewusstsein erlangte, war eine dunkle Gestalt, die sich über sie beugte. Gleich darauf hörte sie Eadulfs vertraute Stimme mit der Mahnung, jede unbedachte Bewegung zu vermeiden.
»Der Übeltäter hat sich aus dem Staub gemacht. Ich hatte ein ungutes Gefühl, dich allein gehen zu lassen. Und so bin ich dir gefolgt.« Er hob eine Laterne in die Höhe, damit sie besser sehen konnte.
»Wer war es?« Sie sprach mit heiserer Stimme, die Kehle war ihr wie ausgedorrt.
»Adamrae, wer sonst?«, erwiderte Eadulf und versuchte, ihr mit seiner freien Hand aufzuhelfen.
»Der junge Mönch?«, vergewisserte sie sich verwundert.
»Über der Tür zur Kapelle brannte Licht, und da sah ich ihn vor dem Eingang herumlungern. Mich wunderte, was er da heimlich trieb. Ich löschte also meine Laterne und schlich ihm nach, gerade als er die Kapelle betrat. Leider war ich nicht schnell genug. Denn als ich da war, schlug er schon zu und brachte dich zu Fall. Ich warf mich auf ihn, aber er wehrte sich mit der Kraft und Wendigkeit eines Kriegers, stieß mich zur Seite, als wäre ich ein Federgewicht. Und ehe ich mich versah, war er aus der Kapelle und schoss wie ein gehetzter Hase davon.«
Fidelma rieb sich den Kopf. Die schmerzende Stelle fühlte sich klebrig an, die Platzwunde blutete.
»Woher willst du wissen, dass er auf und davon ist?«
»Am Zaun hatte er ein Pferd. Ich war ihm hinterhergelaufen,sah ihn aber nur noch in die Nacht entschwinden.« Eadulf warf einen prüfenden Blick auf Fidelmas Verletzung. »Wir müssen die Wunde waschen und versorgen.«
Sie stimmte ihm zu, entsann sich aber plötzlich, weshalb sie eigentlich hatte in die Kapelle gehen wollen.
»Alles zu seiner Zeit. Erst müssen wir erkunden, ob Bruder Cronan hier ist.«
Noch etwas unstet auf den Beinen tastete sie sich zu der Tür, hinter der sich Bruder Cronans Zelle befinden sollte. Eadulf folgte ihr mit hocherhobener Laterne. Sie drückte auf die eiserne Klinke und versuchte die Tür aufzustoßen, doch die gab nicht nach. Sie versuchte es noch einmal.
»Sie ist verschlossen und aus dicken Brettern. Du musst Gormán holen, er muss uns helfen.«
»Und dich soll ich hier allein lassen? Nach dem, was eben passiert ist?«
»Entweder du gehst oder ich muss ihn selbst holen.«
Eadulf zauderte immer noch, reichte ihr dann aber die Laterne und ging.
Zurück kam er nicht nur mit Gormán, auch Conrí und Socht drängten sich in die Kapelle. Conrí war sichtlich aufgebracht.
»Habe ich dir nicht gesagt, dass junge überhebliche Leute es nicht ertragen können, wenn man ihr Können in Frage stellt? Wie auch immer, dass der junge Mann so weit gehen und über dich herfallen würde, hätte ich nicht gedacht.«
»Nicht, weil er sich von mir beleidigt fühlte, hat er mich überfallen«, berichtigte ihn Fidelma. »Da steckt etwas anderes dahinter.« Sie wies auf die Tür. »Sie ist versperrt, wir müssen sie aber aufkriegen. Ob ihr es einmal mit Gewalt versucht …«
Gormán stemmte sich sofort gegen die Tür, und Socht, der sich kurz bei Conrí vergewissert hatte, leistete ihm tatkräftigenBeistand. Schon im nächsten Moment war das Schloss aus seiner Halterung gerissen, und die Tür flog auf. Fidelma folgte den beiden Männern ins Innere.
Auf dem Bett lag regungslos eine in eine Decke gehüllte Gestalt.
Eadulf stürzte hinzu und zog die Decke zurück. Sie gab den Blick auf einen alten Mann frei, der an Händen und Füßen gefesselt war. Der Mund war mit einem Tuch zugebunden.
»Bruder Cronan!« Der Aufschrei kam von Conrí.
Der Mann lebte noch, doch mit nach hinten gebundenen Händen, von denen der Strick zu den gefesselten Füßen führte, lag er in einer völlig verkrampften Stellung.
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