Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Eadulf befreite ihn von dem Knebel, zog sein Messer und durchschnitt die Fesseln. Der Ärmste war blass, total geschwächt, die Gliedmaßen wie abgestorben. Unweit seines Lagers stand ein Krug Wasser, aus dem Eadulf rasch einen Becher füllte. Conrí wollte dem völlig Verwirrten Fragen stellen, doch Fidelma hielt ihn zurück.
»Lass ihn erst zu sich kommen«, riet sie ihm und stützte den Kopf des Mannes, damit er Wasser trinken konnte.
Der Mann, der in der Tat Bruder Cronan war, richtete sich auf, begann zu husten und sich die Handgelenke zu reiben, an denen man deutliche Striemen sah, so fest waren die Fesseln gezogen gewesen. Er begriff nicht recht, wie ihm geschah, und sah verständnislos auf seine Retter.
Fidelma setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
»Ich bin Fidelma von Cashel und eine dálaigh , Bruder Cronan. Wir müssen dir einige Fragen stellen. Fühlst du dich in der Lage, sie zu beantworten?«
»Seit wann bin ich hier?«, lautete die Gegenfrage.
»Seit fünf Tagen haben wir dich nicht mehr gesehen«, erwiderteConrí. »Bruder Adamrae sagte, du wärest krank und müsstest das Bett hüten.«
Bruder Cronan presste die Lippen zusammen. »Bruder Adamrae!«, wiederholte er bitter. »Ganze fünf Tage? O ja, er kam fünfmal und gab mir etwas zu essen, auch durfte ich meine Notdurft verrichten. Aber dann fesselte er mich gleich wieder. Ich bin geschwächt von der Hungerration und ganz verdreckt. Verzeih, Lady, ich stinke gewiss wie ein Wiedehopf.«
Fidelma lächelte ihn ermutigend an. »Keine Sorge. Dein Ungemach hat bald ein Ende. Aber erzähl uns erst, wie du in diese missliche Lage geraten bist.«
»Der junge Mann, dieser Adamrae, … wo ist er überhaupt?« Verängstigt schaute er sich um.
»Er ist geflohen«, sagte Eadulf, und Conrí daraufhin: »Ich weise sofort einige Krieger an, ihm nachzusetzen.«
Der Mönch seufzte erleichtert auf. »Vor ungefähr fünf Tagen kam er hierher und sagte mir, der Abt von Mungairit habe ihn geschickt, er solle mich beim Gottesdienst an der Eichenfurt unterstützen.«
»Abt Nannid?«, fragte Fidelma, um sich zu vergewissern.
Bruder Cronan nickte. »Ja. Er sagte, er käme von der Abtei. Ich nahm ihn natürlich freundlich auf, und er begann, mir allerlei Fragen zu stellen, zu Lord Conrí und wie viele Krieger er hier befehligte. Allein das fand ich schon merkwürdig. Aber dann sagte er etwas, was mich argwöhnisch machte.«
»Nämlich?«
»Er sprach ohne jeden Akzent der Leute aus den nördlichen Königreichen, behauptete jedoch, an der Abtei von Machaoi studiert zu haben.«
»Das mit seiner Sprechweise ist mir ebenfalls aufgefallen«, sagte Fidelma. »Ich habe auch darauf angespielt, woraufhin ererklärte, er sei – nachdem man ihn in Pflege gegeben hatte – unter den Menschen in dem Landstrich dort aufgewachsen.«
»Also ich war mal in I-Shona, wo Colmcille seine Abtei gebaut hat«, meinte Bruder Cronan. »Unterwegs habe ich in der Abtei von Machaoi haltgemacht, ehe ich über das Wasser nach I-Shona setzte, sie war mir folglich nicht unbekannt. In dem Gespräch mit ihm wurde klar, dass er nicht einmal wusste, dass sich die Abtei auf einer Insel befindet.«
»Als wir mit ihm sprachen, wusste er das aber«, betonte Fidelma.
»Ich war leider töricht genug, meine Verwunderung über seine Unwissenheit nicht für mich zu behalten, und erzählte ihm einiges. Er muss gemerkt haben, dass ich argwöhnisch geworden war. Ich habe mich nur einmal umgedreht, und ehe ich wusste, wie mir geschah, lag ich gefesselt auf meinem Bett.«
»Er hat danach bei mir vorgesprochen«, erläuterte Conrí, »er wäre gekommen, um dir in der Kapelle zur Hand zu gehen, hätte dich aber krank vorgefunden, du müsstest das Bett hüten und in deiner Zelle bleiben.«
»Hat er sich dir gegenüber jemals zu erkennen gegeben und sich über seinen Aufenthalt hier näher geäußert?«, fragte Fidelma.
»Ich blieb mehr oder weniger mir selbst überlassen. Ab und an tauchte er auf, löste die Fesseln und gab mir was zu essen. Das war nie mehr als eine Schüssel Haferflocken und etwas Wasser. Auf dem Kübel dort durfte ich meine Notdurft verrichten. Aber selbst da blieb er mit gezogenem Schwert im Raum, damit ich nicht auf dumme Gedanken kam. Die meiste Zeit vegetierte ich gefesselt und geknebelt dahin, unfähig, um Hilfe rufen zu können.«
»Hat denn sonst niemand nach dir geschaut? Kein Arztoder Apotheker?« Für mangelnde Fürsorge hatte Fidelma kein Verständnis. »Irgendwer muss sich
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