Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
auf die ich gern eine Antwort hätte.«
»Das geht nicht, wegen seiner ansteckenden Krankheit …«, wehrte Conrí ab. »Seit er bettlägerig ist, war noch niemand bei ihm. Deshalb ist der junge Adamrae ja auch für ihn eingesprungen.«
Fidelma tat seine Warnung mit einem Lächeln ab. »Sag mir lieber, wo wohnt Bruder Cronan?«
»Seine kleine Zelle ist direkt neben der Kapelle. Sie ist Teil des Bauwerks – ein kleiner Anbau, in den man nur von derKapelle aus hineinkommt«, erklärte Conrí. »Aber du musst dich sehr vorsehen, Fidelma. Wenn es wirklich ansteckend ist, bringst du dich in Gefahr.«
»Hat ihn Bruder Adamrae nicht die Woche über versorgt? Und hat sich Bruder Adamrae frei zwischen euch bewegt? Wenn eine Ansteckungsgefahr bestünde, wäre es schon zu spät, die Seuche hätte sich längst verbreitet. Da aber der brave Bruder Adamrae das schon tagelang überlebt hat, glaube ich nicht, dass wir diese Krankheit derart fürchten müssen.«
Conrí konnte sich ihrer Logik nicht verschließen. »Richtig nachgedacht habe ich darüber noch nicht«, gab er zerknirscht zu.
»Macht ja nichts«, sagte Fidelma heiter. »Wir können später darüber reden, und über Bruder Adamrae auch. Ist es weit bis zur Kapelle?«
»Nur ein paar Schritte über den Platz vor dem Festungstor. Du kannst es gar nicht verfehlen – nimm dir aber eine Laterne mit, es wird rasch dunkel. Ich wollte meine Dienerschaft gerade anweisen, dir das Abendbad vor der Mahlzeit zu bereiten. Wir sind zwar arm, doch für geehrte Gäste können wir den Tisch reichhaltig decken. Ich lass auch eure Kammern fertigmachen, ein paar Tage müsst ihr uns schon mit eurer Anwesenheit beehren.«
»Ausgezeichnet, für deine Fürsorge sind wir dir dankbar. Ich werde nicht lange wegbleiben. Gib deine Anweisungen so, wie du es für richtig hältst.«
»Wir begleiten dich«, sagte Eadulf, und er und Gormán standen auf.
»Ist nicht nötig, wir müssen nicht alle gehen, um einen Kranken zu besuchen«, lehnte Fidelma ab. »Es wird ohnehin nicht lange dauern. Ihr könnt inzwischen euer Bad nehmen.«
Bei dem bewölkten Himmel war das Abendlicht fahl undgrau. Der nahende Winter ließ die Tage kürzer werden. In der Siedlung an der Eichenfurt ging es dennoch lebhaft zu. Aus den Hofumzäunungen rund um den Platz drang Licht, so dass Fidelma ihre Laterne eigentlich nicht gebraucht hätte. Die Holzkapelle stand mitten auf einer Rasenfläche. Neben der Tür zur Kapelle hing eine Lampe, deren flackerndes Licht den Pfad vom Festungstor erkennen ließ. Fidelma schob das Tor auf, es knarrte in den Angeln, eine Nachtschwalbe schreckte auf, und eine Eule stieß missmutig ihren Ruf aus. Auf dem weichen Untergrund ging sie vorsichtig bis zur Kapellentür. Drinnen war es völlig still. Fidelma wollte zwar Bruder Cronan in seiner Ruhe nicht stören, doch die sie bedrängenden Fragen erlaubten keinen Aufschub.
So zögerte sie noch, bevor sie die Tür öffnete. In der Kapelle war es stockfinster, im Schein ihrer Laterne tastete sich Fidelma hinein. »Bruder Cronan?«, rief sie gedämpft.
Niemand antwortete, aber sie hatte eine Seitentür erspäht – das musste der Zugang zur Einsiedlerzelle sein.
Zum Glück war Bruder Adamrae nicht hier. Sie wäre ihm ungern begegnet, bevor sie mit Bruder Cronan geredet hatte. Wäre er in der Kapelle, hätte er sicher auf ihren Ruf geantwortet. Sie hielt die Laterne hoch und bewegte sich auf die Nebentür zu.
Plötzlich spürte sie jemand hinter sich, ein kurzer Atemzug hatte die Person verraten. Im Nu drehte sie sich um, doch da traf sie schon ein Hieb von einem Knüppel auf den Arm und schlug ihr die Laterne aus der Hand. Dank ihrer Drehung hatte der Schlag ihren Hinterkopf verfehlt. Ihr Arm schmerzte, jemand knurrte wütend, sie nahm wahr, dass eine Hand gehoben wurde, und ging instinktiv in die Hocke.
Von ihrer Jugend an hatte Fidelma sich im troid-sciathaigid, der Selbstverteidigung, geübt. Als die Missionare aus denFünf Königreichen in ferne Länder aufbrachen, um den Neuen Glauben zu predigen und den Heiden ihre Gelehrsamkeit und Schriftkunst zu bringen, durften sie keine Waffen tragen. Wie aber sollten sie Überfälle von Dieben und Räubern abwehren? Schon aus den Sagen der Urzeit wussten sie, wie sich weise Männer und Frauen zu behaupten verstanden, wenn sie unter dem Volk der Finsternis umherzogen. Um sich zu schützen, eigneten sie sich deren uralte Kunst der Verteidigung ohne Waffen an, lernten, sich eines Angriffs zu
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