Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
eckigen Glockenturm hoben zwei Mönche mit breiten Schaufeln eine tiefe Grube aus. Jendrik lief ein Schauer des Unbehagens über den Rücken, vermutlich waren das die Gräber für die Verstorbenen. Rasch wandte er den Blick ab und folgte dem Pförtnermönch, der es ebenfalls eilig hatte, die Gräber hinter sich zu lassen.
Jendrik war so angespannt, dass er weder den schönen Kreuzgang mit den kunstvoll gestalteten Arkaden noch den prächtigen Kräutergarten wahrnahm. Er hatte auch keine Augen für die breite Steintreppe und bemerkte den unangenehmen Essensgeruch nach altem ranzigem Fett, verbranntem Brot und fauligen Zwiebeln, der aus der Küche drang, kaum. Erst als der Mönch vor einer niedrigen Tür stehen blieb, erwachte er aus seinen Grübeleien.
»Wer ist denn der Stellvertreter des Abtes?«, fragte er.
»Es gibt keinen Stellvertreter. Aber wir haben Besuch aus Rom«, erklärte der Mönch. Ein Schatten legte sich über sein Gesicht, und Jendrik hätte nicht sagen können, ob der Mann Angst hatte oder einfach nur müde war.
»Ein Bruder aus Rom«, ergänzte er. Rasch blickte er sich um, als fühlte er sich beobachtet. »Er kümmert sich derzeit um die Angelegenheiten des Klosters und wird auch einen Nachfolger für Abt Nicola bestimmen.«
Jendrik wollte erwidern, dass dies ein völlig unübliches Vorgehen sei, aber da hatte der alte Mönch schon an die Tür geklopft und war in der Kammer verschwunden.
Es dauerte eine Weile, bis er wieder auf den Gang trat. Nun sah Jendrik genau, dass der Mann Angst hatte, sie leuchtete ihm förmlich aus den Augen.
»Der Bruder aus Rom ist bereit, Euch anzuhören.«
Mit diesen Worten machte der Pförtner einen Schritt zur Seite, so dass Jendrik eintreten konnte, und schloss dann leise die Tür hinter ihm.
Er selbst lief über den Gang zurück zur Treppe. Jendrik konnte das Klappern seiner Sandalen hören. Der Mann rannte förmlich.
Das Erste, was Jendrik auffiel, war der Geruch. Ein eigenwilliger, orientalisch wirkender Duft lag schwer in der Luft, völlig unpassend für die Kammer eines eben verstorbenen Abtes. Dann erst bemerkte er, wie finster es in dem kahlen Raum war. Obwohl draußen die Sonne schien, drangen nur wenige helle Strahlen durch das kleine Fenster, das zusätzlich mit einem Tuch verhängt war. Vielleicht ein Ausdruck der Trauer? Schließlich waren im Kloster zwei Menschen gestorben. Vielleicht aber war es bloß Scheu vor der Sonne.
Hinter dem schmalen Schreibtisch saß eine verhüllte Gestalt, die eine dunkle Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Ihr Anblick erinnerte Jendrik an das Deckengemälde einer Kirche, das er erst vor kurzem gesehen hatte, irgendwo auf dem Weg nach Dijon. Der Künstler hatte den Tod als finstere Gestalt in einem düsteren Mantel dargestellt. Ihm lief es eiskalt über den Rücken, am liebsten hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre über den Gang zum Tor zurückgelaufen. So wie der Mönch, der ihn hierhergebracht hatte.
Aber Jendrik hatte einen Auftrag zu erfüllen. Mit klopfendem Herz betrachtete er die Gestalt vor sich, die den Kopf gesenkt hielt und ihn auch dann nicht hob, als sie zu sprechen begann. Als er die Stimme hörte, begann Jendrik zu zittern.
»Was führt Euch aus Prag nach Dijon?«, fragte der Mann aus Rom auf Lateinisch.
Für einen Moment zögerte Jendrik. Sollte er diesem Mann von seinem geheimen Auftrag erzählen? Der Bruder hatte sich nicht vorgestellt, er wusste im Grunde nicht, wer der Verhüllte war.
»Es handelt sich um eine wichtige Mission, und ich muss dringend den Stellvertreter des Abtes sprechen«, sagte Jendrik unsicher und eine Spur zu hoch.
»Im Moment bin ich dieser Stellvertreter«, sagte der Verhüllte mit einer Bestimmtheit, die jeden Widerspruch im Keim erstickte.
Nervös griff Jendrik in seine lederne Umhängetasche und holte den Brief seines Abtes hervor. Er hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen …
»Dies ist ein Schreiben von Abt Benedikt. Er leitet das Clementinum in Prag. Vor Wochen wurde dort eine rätselhafte Schrift mit ketzerischem Inhalt entwendet. Nun ist es meine Aufgabe, den Dieb zu fassen und ihm das Manuskript wieder abzunehmen.«
»Warum liegt in einem Jesuitenkloster in Prag eine Schrift mit ketzerischem Inhalt?«, fragte der Bruder aus Rom. Seine Stimme war leiser geworden, wodurch sie nichts an Schärfe verlor.
»Das Schriftstück ist durch einen Gelehrten, der nun bei uns im Kloster lebt, zu uns gelangt. Es handelt sich um ein paar Bögen
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