Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
unberührt zurück.
»Ich werde Louise bitten, das Essen zu servieren«, sagte der alte Mönch. Abt Etienne nickte ihm zu, ohne ihn dabei anzusehen, und schon verließ der dürre Mann den Raum.
Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, beugte der Abt sich vertraulich über den Tisch und fragte: »Nun erzählt, wie es dazu kam, dass Ihr Sebastian nach Bordeaux gebracht habt.« Sein Latein war fließend und völlig fehlerfrei, dennoch war er schwer zu verstehen, weil er mit einem starken nasalen Akzent sprach. Er war einer jener Männer, die für gewöhnlich die Sprache des Nordens, das Langue d’Oil, verwendeten.
»Der Junge ist aus dem Kloster fortgelaufen und durch Zufall auf uns gestoßen«, antwortete Pfeiffer. »Er hat uns gefragt, wohin wir reisen, und da unser Weg uns nach Bordeaux führte, bat er darum, mitkommen zu dürfen.«
Die Augen des Abtes verengten sich misstrauisch. »Ihr wart nicht im Kloster unserer Brüder in Dijon?«
»Nein, wir haben weder das Kloster noch die Stadt betreten«, log Pfeiffer und wurde dabei nicht einmal rot. Jana bewunderte ihn dafür. »Wie kommt Ihr darauf?«
Der Abt schüttelte irritiert den Kopf und zog einen Schmollmund. Mit dem Zeigefinger deutete er auf Pfeiffers Glas: »Schmeckt Euch unser Wein nicht? Es ist der Beste des ganzen Landes. Dieser hier stammt von unseren eigenen Weinbergen südlich der Stadt.«
»Er ist ganz vorzüglich, und ich freue mich schon darauf, mehr davon zu kosten. Aber ich vertrage ihn auf leeren Magen nicht.«
»Keine Angst, unsere Louise ist eine fabelhafte Köchin. Ihre gebratenen Fische werden Euren Gaumen erfreuen. Darf ich fragen, womit Ihr Euch genau beschäftigt?«
Gerade als Doktor Pfeiffer zu einer Antwort ansetzen wollte, öffnete sich die hohe Tür, und ein junger Mönch in einer etwas zu kurzen Kutte, die ihm nur zu den Waden reichte, brachte ein schwerbeladenes Tablett mit dampfenden Schüsseln. Er platzierte alles in der Mitte des Tischs und verließ den Raum, ohne ein Wort gesprochen zu haben.
»Ah, Knoblauchsuppe, Louises Spezialität!«, sagte der Abt. Er erhob sich, nahm den Deckel vom Topf und füllte die feinen Porzellanschüsseln seiner Gäste mit der cremigen Suppe.
Würziger Knoblauchgeruch stieg Jana in die Nase und noch ein anderer Duft, den sie nicht zuordnen konnte. Vielleicht wieder eines der unbekannten neuen Gewürze?
»Auf welchem Gebiet forscht Ihr?«, fragte der Abt.
»Ich bin Arzt und Anatom«, antwortete Pfeiffer.
»Das ist sehr interessant. Vielleicht darf ich Euch nach dem Essen mit ein paar Fragen belästigen? Ich leide seit Monaten an Magenschmerzen, die weder Bruder Philippe, der für unsere Krankenstation zuständig ist, noch der Arzt, den ich habe kommen lassen, heilen konnten.«
»Natürlich. Wenn Ihr das wünscht, kann ich Euch auch untersuchen«, sagte Pfeiffer.
»Das wäre sehr nett, vielen Dank. Verratet mir nun, was Euch nach Bordeaux führt.«
»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Pfeiffer ausweichend.
»Ich liebe lange Geschichten. Aber lasst uns erst das Tischgebet sprechen. Sonst kühlt die Suppe noch aus, und das wäre jammerschade.« Der Abt faltete seine manikürten Hände und begann zu beten, wobei er sich nach vorn beugte. Jana tat es ihm gleich, und erneut drang ihr eine Woge des ungewöhnlichen Suppengeruchs in die Nase. Was hatte Louise da bloß hineingetan? Neben den Gerüchen von Knoblauch und Estragon war da etwas Scharfes, was Jana beinahe an Mäusepisse erinnerte. Ob Louise schlechten Knoblauch verwendet hatte?
Endlich war das endlos lange Tischgebet beendet. Der Abt richtete sich wieder auf und meinte: »Ich hoffe, die Suppe schmeckt.«
Bedächtig griff er nach einem der schweren Silberlöffel und rührte damit in der dicken Flüssigkeit. Auch Jana nahm den Löffel und tauchte ihn in ihre Suppe.
Plötzlich hielt der Abt in seiner Bewegung inne, legte seinen Löffel wieder zur Seite und stand auf.
»Bitte entschuldigt mich«, sagte er. »Ich habe vergessen, meine Magenmedizin zu nehmen.«
»Was wurde Euch denn verschrieben?«, erkundigte sich Pfeiffer.
»Ich weiß es nicht genau. Aber wartet einen Moment, ich hole die Tropfen und zeige sie Euch.« Der Abt ging ein paar Schritte, dann drehte er sich noch einmal um und sagte: »Aber bitte esst inzwischen Eure Suppe. Sie schmeckt nur gut, solange sie heiß ist, und Louise wäre untröstlich, wenn Ihr sie nicht genießen würdet.«
»Oh, das werden wir ganz gewiss tun«, meinte Pfeiffer und ergriff
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