Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
ebenfalls seinen Löffel. Als er ihn in die Suppe eintauchte, drehte der Abt seinen Gästen den Rücken zu und ging langsam zu einem kleinen Tischchen an der Wand. Umständlich öffnete er eine Lade und kramte darin.
Jana führte ihren Suppenlöffel zum Mund. Mäusepisse, dachte sie erneut, und hielt ihre Nase ganz nah über die Suppenschüssel, während der Abt weiter in seiner Lade kramte und etwas Unverständliches in seiner Muttersprache murmelte.
In diesem Moment fiel es Jana wie Schuppen von den Augen. So roch gefleckter Schierling! Ein hochwirksames, tödliches Gift.
Reflexartig trat sie Pfeiffer, der sich gerade den Löffel in den Mund schob, gegen das Schienbein. Der Arzt zuckte zusammen, ließ den Arm sinken und starrte sie verärgert an. Aber als er ihren alarmierten Gesichtsausdruck sah, legte er den Löffel zurück in den Teller und hob fragend die Augenbrauen.
Jana deutete auf die Schüssel und schüttelte den Kopf. Sie sah sich um. Wohin sollte sie die Suppe kippen? Aufstehen war unmöglich, denn dann würde Abt Etienne sich sofort umdrehen. Sie blickte unter den Tisch. Der kostbare Teppich war perfekt, der hohe Flor war weich und flauschig. In der Wolle konnte die Suppe versickern, und der Abt würde den Schaden erst nach Tagen bemerken.
Blitzschnell nahm sie ihren Teller und kippte den Inhalt unter den Tisch. Mit klopfendem Herz starrte sie zum Abt. Hatte er etwas bemerkt? Aber er hielt seinen Oberkörper immer noch suchend über die Lade gebeugt.
Pfeiffers Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er zögerte einen Moment, blickte zuerst zum Abt, dann unter den Tisch, und reagierte dann ebenso schnell wie Jana. Der Inhalt seiner Suppe landete geräuschlos in der dicken Wolle. Eine Spur zu schwungvoll stellte er den Suppenteller zurück auf den Tisch, dabei stieß er an eines der wertvollen Kristallgläser. Erschrocken zuckte er zusammen, und im gleichen Moment drehte der Abt sich um und sah besorgt auf sein Geschirr. Erleichterung malte sich auf seinem Gesicht, als er das Bleikristall unversehrt auf dem Tisch stehen sah. Ebenso zufrieden schien er mit den leeren Suppenschüsseln zu sein.
»Ich sehe, die Suppe hat Euch geschmeckt. Wollt Ihr noch mehr? Es ist genug davon da.«
Pfeiffer und Jana schüttelten gleichzeitig die Köpfe. Doktor Pfeiffer wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und erklärte: »Die Suppe war tatsächlich köstlich, aber ich bin allein davon fast schon satt. Vielen Dank. Nun müsst auch Ihr endlich essen.«
Der Abt lächelte. »Wie gerne würde ich das tun! Aber der Arzt hat mir von Knoblauch ausdrücklich abgeraten, und die Medizin kann ich leider nicht finden. Ich werde später in meiner Schlafkammer nachsehen.«
Während der Abt sich wieder an den Tisch setzte, suchte Jana mit dem Fuß nach ihrem Schuh. Ihre Zehenspitzen berührten die nasse Stelle, vorsichtig tastete sie den Fleck ab. Der Teppich hatte die Flüssigkeit vollständig aufgenommen. Deutlich erleichtert schlüpfte sie in den kaputten Lederschuh.
»Lasst uns nun anstoßen«, sagte Abt Etienne und erhob sein Glas erneut.
Jana griff ebenfalls nach ihrem Glas. Misstrauisch hielt sie ihre Nase an die rote Flüssigkeit. Roch auch der Wein nach Schierling? Noch bevor sie sich eine Meinung bilden konnte, sah sie, wie Doktor Pfeiffer einen herzhaften Schluck aus seinem Glas nahm. War der Mann völlig von Sinnen?
»Wie findet Ihr den Wein?«, fragte der Abt, und seine offensichtliche Freude darüber, dass Pfeiffer getrunken hatte, beunruhigte Jana noch mehr. Wie konnte der Arzt nur so unvorsichtig sein?
»Er ist in der Tat vortrefflich«, sagte Pfeiffer und trank einen weiteren Schluck. Hatte er den Verstand verloren? Am liebsten hätte Jana ihn noch einmal gegen das Schienbein getreten, aber beim Entleeren des Tellers war der Arzt etwas zur Seite gerückt, und sie konnte ihn nicht mehr treffen.
»Wollt Ihr mir nun von Euern Beschwerden erzählen?«, fragte Pfeiffer. Doch Abt Etienne winkte ab und meinte: »Später, später. Jetzt kommt zuerst Louises wundervoller gebratener Fisch. Er ist ein wahres Wunderwerk aus ihrer Küche. Manchmal glaube ich, dass wir das einzige Kloster im ganzen Land sind, in dem in der Fastenzeit ebenso köstlich gegessen wird wie während des restlichen Jahres.«
»Das kann ich mir gut vorstellen.«
»Ich finde es übrigens sehr schade, dass Ihr nicht bei unseren Brüdern in Dijon gewesen seid. Zu gern hätte ich die letzten Neuigkeiten erfahren, denn die Nachricht, die ich
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