Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
nun seinen Hengst an, worauf auch Marie stehen blieb. Die beiden Tiere hatten sich in den letzten Wochen so aneinander gewöhnt, dass eines ohne das andere keinen Schritt tat.
»Jana, geht es immer noch um das Reisetagebuch?«
»Natürlich, was denkt Ihr denn?«
Pfeiffer presste die Lippen aufeinander, ehe er antwortete: »Ich glaube, dass Ihr nach wie vor auf der Flucht seid. Aber ich bin mir nicht mehr sicher, wovor Ihr davonlauft.«
»Darin sind wir uns sehr ähnlich. Oder?« Janas Antwort kam eine Spur zu schnippisch.
Das Türkisblau von Pfeiffers Augen fing das fahle Licht des Mondes ein, sie strahlten unnatürlich. Er sagte nichts, was auch eine Art der Antwort war. Als die Stille für Jana unerträglich wurde, bemerkte sie: »Lissabon soll eine schöne Stadt sein.«
»Ihr seid eine lausige Lügnerin. Ihr habt nicht einmal eine genaue Vorstellung davon, wo Lissabon eigentlich liegt.«
»Egal, auf alle Fälle ist es eine wichtige Stadt, schließlich sind die Portugiesen von dort aus in die Neue Welt aufgebrochen«, sagte Jana, um zu zeigen, dass sie nicht völlig ungebildet war.
Pfeiffer lachte laut, Jana konnte das Weiß seiner Zähne im Mondlicht aufblitzen sehen.
»Wenn Ihr Euch etwas in den Kopf setzt, dann gebt Ihr nicht auf, bis Ihr es schließlich durchgesetzt habt.«
»Ist das denn schlecht?«, fragte Jana unschuldig.
»Wenn es eine so verrückte Idee ist wie die gerade eben, dann schon.«
»Habt Ihr denn einen besseren Vorschlag?«
Pfeiffer verzog den Mund und schwieg für einen Moment. Schließlich gab er zu: »Es gibt wohl keinen Ort in Europa, an dem wir mehr über die Neue Welt erfahren können als in Lissabon. Und das Reisetagebuch stammt eindeutig aus der Neuen Welt, vielleicht auch die Landkarte.«
»Was haltet Ihr also von meinem Vorschlag?«
»In Ermangelung eines besseren bin ich damit einverstanden«, erwiderte er matt.
Das war es, was Jana hören wollte. Sie fasste die Zügel enger und trieb Marie zu einem schnellen Galopp an, so dass sie Pfeiffers letzten Satz nicht mehr hören konnte. Warme Sommerluft strich über ihr Gesicht, und sie fühlte sich frei und unbeschwert. Das Abenteuer war noch nicht zu Ende. Sie würden weitersuchen und mit etwas Glück herausfinden, weshalb ihr Vater hatte sterben müssen.
Jana hätte die ganze Nacht in diesem Tempo durchreiten können. Aber irgendwann wurden die Pferde müde, und sie ritten wieder langsamer. Es war weit nach Mitternacht, als sie sich einen geeigneten Platz zum Schlafen suchten.
Bordeaux
O BWOHL SIE JEDE N ACHT in einer Herberge übernachteten, üppig speisten und tranken und es an nichts fehlen ließen, war der Geldsack, den Jendrik in Dijon erhalten hatte, immer noch nicht leer.
Tomek genoss die Reise in vollen Zügen, lud jede Nacht Frauen in seine Kammer ein und machte Jendrik das Leben damit schwer. Je länger sie gemeinsam unterwegs waren, umso unerträglicher wurde es für Jendrik. Er wollte Tomeks lustvolles Stöhnen, wenn der Freund das Bett neben Jendrik mit einer der bezahlten Dirnen teilte, nicht mehr hören.
Eifersucht und der heimliche Wunsch, in die Rolle der Dirne zu schlüpfen, um Tomek so nah zu sein wie nur irgend möglich und endlich Erlösung von seiner körperlichen Pein zu erfahren, steigerten sich mit jedem Tag. In manchen Nächten hatte Jendrik Angst, den Verstand zu verlieren. Wie sehr musste Gott ihn hassen, dass er ihn so leiden ließ? In Bordeaux war es schließlich so weit, dass Jendrik nicht mehr konnte.
Sie kamen spätabends in der Stadt an und beschlossen, eine weitere Nacht in einer Herberge zu verbringen, bevor sie sich ins Jesuitenkloster aufmachten, um nach Jana und Pfeiffer zu suchen. Wenn es stimmte, was ihnen kurz vor Bordeaux ein Bauer mit Händen und Füßen versucht hatte mitzuteilen, dann waren die beiden gemeinsam mit einem Jungen unterwegs und gerade erst in Bordeaux angekommen. Tomek und Jendrik waren also ganz nah am Ziel und hatten genug Zeit. Bloß, was war das für ein Ziel? Der Mord an zwei Menschen, weil der Heilige Vater es wollte?
Noch vor ein paar Wochen hätte Jendrik diese Frage ruhigen Gewissens mit einem deutlichen Ja beantwortet. Aber jetzt, nachdem er die schreckliche Fratze des Bruders aus Rom gesehen hatte, zweifelte er an der Richtigkeit der Entscheidung.
Wie konnte der Papst sich anmaßen, über so viele Menschen zu richten, die er gar nicht kannte? Die Pergamentseiten aus dem Clementinum waren in Wirklichkeit bloß der böse Scherz eines Scharlatans
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