Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
und Betrügers. Wer wusste denn, ob das Buch, für das der Papst nun töten ließ, in Wahrheit nicht auch bloß ein Blendwerk war? Und wer konnte Jendrik sagen, ob tatsächlich der Papst hinter all den Drohungen und Morden steckte, ob nicht die Geheime Bruderschaft eine Gruppe von Verbrechern war, die unter dem Deckmäntelchen der Kirche ihre eigenen Pläne verfolgten?
In den letzten Wochen war Jendriks einfache Welt, in der es Gut und Böse, das ruhige Clementinum und die weite Welt gegeben hatte, auf den Kopf gestellt worden. Nichts war mehr so, wie er es jahrelang geglaubt hatte. Das Einzige, was er mit absoluter Sicherheit wusste, war, dass er Tomek liebte, und zwar dringender und schmerzlicher als je zuvor. Das Verlangen nach ihm war ebenso unerträglich geworden wie die Lüge, die er tagtäglich aufrechterhalten musste.
Jendrik würde Tomek die Wahrheit sagen, und zwar noch heute Nacht. Ganz egal, wie der Freund reagierte. Außerdem hatte er nicht vor, Jana und Doktor Pfeiffer zu töten, und er wollte auch nicht, dass Tomek es an seiner statt tat. Wegen dieses Manuskripts waren bereits zu viele Menschen gestorben. Wenn der Geheime Bruder mit dem entstellten Gesicht Jana und den Arzt tot sehen wollte, dann musste er sich selbst die Hände schmutzig machen. Jendrik hatte meilenweit reiten müssen, um diese Entscheidung zu treffen. Und kaum, dass er den Entschluss gefasst hatte, fühlte er sich besser. Er wollte nicht zum Mörder werden, ganz egal, wer ihm den Auftrag erteilte. Auch wenn er damit vielleicht sein eigenes Todesurteil unterzeichnete.
Angeekelt wartete Jendrik, bis die Dirne mit ihrer Arbeit fertig war, dann betrat er die Kammer und bat Tomek um eine Unterredung. Jendrik wusste, dass es das schwierigste Gespräch seines Lebens werden würde, aber vielleicht auch das wichtigste.
Arcachon
N ACH EINER KURZEN , aber erholsamen Nacht machten Jana und Pfeiffer sich auf die Suche nach einem Schiff, das sie nach Lissabon bringen konnte. Ein alter Fischer mit wettergegerbtem Gesicht und einem fast zahnlosen Mund, der gerade sein kleines Holzboot, auf dem große Netze voll mit unzähligen kleinen Fischen lagen, an Land zog, erklärte ihnen, dass sie weiter nach Arcachon reiten sollten, dort gebe es Schiffe in Richtung San Sebastian oder Santander. Der Mann sprach Langue d’Oc, die herbere, dem Latein sehr ähnliche Sprache des Südens. Selbst Jana fiel es nicht so schwer, ihn zu verstehen.
Also ritten sie weiter die unwirtliche Küste entlang. Das Meer faszinierte Jana, aber es schüchterte sie zugleich ein, und seine unendliche Weite und die gewaltigen, nicht zu bändigenden Kräfte machten ihr Angst. Andächtig lauschte sie der Brandung und beobachtete die Seevögel auf ihren Flügen über das unruhige Wasser. Doch nach einer Weile hatte Jana sich an den ständigen Salzgeschmack auf den Lippen und der Haut gewöhnt, und am zweiten Tag ihrer Reise hörte sie das Rauschen des Meeres fast nicht mehr.
»Ich nehme an, Ihr seid noch nie auf einem Schiff gereist?«, fragte Doktor Pfeiffer.
»Meine Erfahrungen mit der Seefahrt beschränken sich auf ein winziges Ruderboot auf der Moldau.«
»Das lässt sich nicht mit dem vergleichen, was wir vor uns haben. Ich muss Euch warnen, es gibt Menschen, denen auf großen Schiffen sehr leicht übel wird. Der Seegang und die Wellen bringen das Gleichgewichtsgefühl durcheinander, Übelkeit und Schwindel sind die Folgen. Angeblich soll es helfen, sich an Deck aufzuhalten und sich auf keinen Fall in den Bauch des Schiffs zurückzuziehen.«
»Wird Euch auf großen Schiffen übel?«, fragte Jana.
»Ich muss gestehen, dass ich es nicht weiß. Ich bin auch noch nie auf einem großen Schiff gereist.«
»Woher bezieht Ihr dann Euer Wissen?«
»Erzählungen und Bücher«, sagte Pfeiffer.
»Ihr glaubt wohl, in den Büchern stehen Antworten auf alle Fragen des Lebens!« Jana fand das ärgerlich, wusste aber nicht, warum.
»Nicht auf alle Fragen«, gab Pfeiffer zu. »Es gibt durchaus Dinge, die man in Büchern nicht nachlesen kann.«
»Zum Beispiel?«, fragte Jana gereizt.
Doch Pfeiffer seufzte bloß und blieb ihr die Antwort schuldig.
Arcachon war eine kleine Hafenstadt, die vom Fischfang und der Schifffahrt lebte. Entlang der Küste standen niedrige, langgezogene Fischerhütten, vor denen buntbemalte Fischerboote lagen. Netze waren auf Stangen zum Trocknen aufgehängt oder lagen am Boden. Die Frauen waren damit beschäftigt, mit feinem Garn Löcher in den Netzen zu
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