Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Tiere standen unruhig vor einer mannshohen Steinmauer, die völlig zugewachsen war. Gerard schob den Bewuchs beiseite, und hinter den üppigen Blättern wurde eine winzige Holztür sichtbar, die mit einem alten rostigen Schloss versperrt war. Gerard holte den passenden Schlüssel hervor und öffnete sie.
»Wie sollen wir die Pferde da durchbringen?«, fragte Pfeiffer niedergeschlagen. Sein Hengst schnaubte laut und stampfte protestierend auf, als er versuchte, das Tier durch die winzige Öffnung in der Mauer zu schieben.
Darauf hatte der gutmütige Gerard auch keine passende Antwort. Er kratzte sich den runden Kopf und sah ratlos auf die Mauer, die sich schier unüberwindbar vor ihnen erhob. Kein Pferd der Welt würde über dieses Hindernis springen.
»Komm, Marie«, sagte Jana und flüsterte ihrer Stute aufmunternde Worte ins Ohr. »Wir sind so weit geritten, da soll uns dieses kleine Tor nicht aufhalten!« Sie streichelte dem Tier den Hals, vergrub ihr Gesicht im weichen Fell und bat das Pferd nun wortlos um Hilfe. Dann trat sie durch die Tür ins Freie und lockte Marie mit einem kleinen Apfel zu sich. Die Stute senkte den Kopf, zögerte zuerst, schnaubte und zwängte sich dann langsam, ohne sich zu verletzen, durch die Öffnung.
»Brav, Marie. Du bist die Beste!«, sagte Jana begeistert. Kaum war die Stute durch, folgten auch Pfeiffers Hengst, Sebastians Esel und das Maultier, auf dem Louise reiten sollte.
Rasch saßen alle wieder auf, und Louise drückte ein letztes Mal Gerards Hand. Dann winkten ihm alle zum Abschied zu und ritten eilig davon.
Pfeiffer lenkte seinen Hengst neben Marie und beugte sich zu Jana. Leise sagte er: »Ihr verblüfft mich immer wieder!«
»Ihr mich auch, mein Lieber«, sagte Jana. »Ihr mich auch.«
13
Auf dem Weg zur Küste
B EREITS HINTER DER S TADTMAUER von Bordeaux trennten sich die Wege der vier Reisenden. Sebastian und Louise ritten nach Cluny, während Jana und Pfeiffer auf keinen Fall zurückreisen wollten. Allerdings mussten sie erst beratschlagen, wohin sie ziehen sollten.
»Habt Ihr denn genug Geld, um bis nach Cluny zu gelangen?«, fragte Jana.
Louise schüttelte den Kopf, zog aber dann grinsend einen kleinen Beutel aus ihrem Reisesack.
»Geld haben wir nicht«, sagte sie. »Aber ich habe Abt Etienne um einen ganzen Satz Silberbesteck erleichtert. Ich glaube allerdings, dass er den Verlust gar nicht bemerken wird.«
Jana teilte Louises Meinung. Und selbst wenn dem Abt das Fehlen von ein paar Löffeln, Gabeln und Messern auffallen würde, so brauchte Louise kein schlechtes Gewissen zu haben, denn schließlich hatte der Mann einen zweifachen Mord versucht. Und dass der Abt hinter dem Anschlag steckte, davon war Jana fest überzeugt, schließlich hatte er auf auffällige Weise vermieden, selbst von der vergifteten Suppe zu essen.
Da die Zeit drängte, verabschiedeten sie sich rasch.
Jana umarmte Sebastian innig und bat ihn, Bedrich ganz herzlich von ihr zu grüßen. Sie drückte dem Jungen einen Kuss auf die kindliche Wange und winkte ihm und seiner Mutter noch lange nach.
Als die Umrisse der beiden in der Ferne so klein geworden waren, dass man sie fast nicht mehr sehen konnte, sagte Pfeiffer: »Wir sollten auch aufbrechen.«
»Aber wohin?«
»Lasst uns zurück zum Meer reiten und dann ein Stück die Küste entlang. Unterdessen überlegen wir, wie es weitergehen soll.«
Jana war einverstanden. Sie ließ Marie hinter dem Pferd des Arztes her traben und schwieg. Eigentlich wollte sie an die nahe Zukunft denken, aber ihre Gedanken schweiften ständig ab zu dem, was gerade geschehen war. Sie musste immer wieder an Sebastian und seine Mutter denken und daran, wie begeistert Bedrich die beiden empfangen würde.
Der Tag war längst der Nacht gewichen, und der Mond spendete fahles Licht. Vom Fluss her wehte kühle Luft, durchsetzt mit Fischgeruch, zu ihnen. Pfeiffer lenkte sein Pferd neben das von Jana und schien ihre Gedanken zu erraten.
»Ihr macht Euch Vorwürfe, weil Ihr nicht mit den beiden geritten seid«, sagte er ernst.
Jana schnaufte empört, aber er fuhr fort: »Der Gedanke, dass Louise vielleicht Eure mögliche Rolle als Bedrichs Frau einnehmen könnte, gefällt Euch nicht.«
»Unsinn!« Janas Antwort kam eine Spur zu schnell und verriet so, dass sie nicht der Wahrheit entsprach.
»Warum seid Ihr dann nicht mit Sebastian und seiner Mutter nach Cluny zurückgeritten? Bedrich hätte Euch mit offenen Armen empfangen.«
»Ha, das würde Euch so
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