Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
getötet, deshalb müsste sie für den Rest ihres Lebens für ihn kochen und seine Wäsche waschen. Er hob sie hoch und trug sie zur Moldau, wo er sie ins kalte Wasser stieß und laut schrie: »Schwimm!«
Schweißgebadet wachte Jana auf. Die freundliche, alte Frau mit den roten Apfelwangen wechselte ihre Laken, streifte ihr ein frisches Hemd über und flößte ihr noch mehr heißen Apfelwein ein. Erneut fiel Jana in einen unruhigen Schlaf voller Fieberträume. Diesmal war Bedrich da und machte ihr Vorwürfe, dass sie an allem selbst schuld sei und nun kein Mitleid erhoffen dürfe. Aber Jana wollte gar kein Mitleid, sie wollte aufstehen und nach Pfeiffer suchen.
In ihren kurzen wachen Momenten hörte Jana draußen das laute Kreischen von Möwen und die Brandung des Meeres in der Ferne. Wenn die kleine Frau die Fenster öffnete, roch es nach Fisch. Einmal brachte sie Jana einen Topf voll Fischsuppe, aber Jana konnte nichts essen, sie wollte nur schlafen.
Drei Tage und Nächte lag sie in wirren Träumen, erst am vierten Morgen nach ihrer Rettung fühlte sie sich endlich besser. Das Fieber war gesunken, und sie konnte sich aufsetzen, ohne das Gefühl zu haben, ihr Kopf würde zerspringen.
Die freundliche Frau lachte erleichtert und brachte Jana eine Schüssel voll Haferbrei, den sie mit einem großzügig bemessenen Löffel Honig süßte. Jana aß die Schüssel vollständig leer. Zufrieden nickte die Frau und sagte etwas, von dem Jana annahm, dass es ein Lob war.
In den folgenden Tagen erfuhr Jana, dass ihre Retterin Maria hieß und eine Witwe war, die allein etwas außerhalb eines kleinen Dorfs wohnte. Die nächstgelegene große Stadt war Santiago de Compostela, ein bekannter Wallfahrtsort, den jedes Jahr Pilger aus der ganzen Welt besuchten. Viele der Reisenden wanderten noch weiter bis ans Meer, dann kamen sie an Marias Hütte vorbei, aßen, tranken und versorgten sich mit Proviant. Auf diese Weise hatte Maria ein kleines Einkommen. In dem ordentlichen Gemüsegarten hinter ihrem Haus pflanzte sie Rüben, Salat und Bohnen. Mit einem winzigen Boot, das ihrem verstorbenen Mann gehört hatte, fuhr sie regelmäßig hinaus aufs Meer und warf seine alten Netze aus. Bei einem dieser Ausflüge hatte sie Jana entdeckt. Die Fische legte Maria in Salz ein oder hängte sie zum Trocknen auf. Die alte Frau bevorzugte die Einsamkeit, sie wollte nicht im Dorf wohnen, sondern in dem Haus bleiben, das sie ihr ganzes Leben lang mit ihrem Mann geteilt hatte. Nun lebte sie dort zusammen mit ihrem Hund, einem Maultier und zwei Katzen, die Jana kennenlernte, als sie wieder auf den Beinen war.
Jana hatte bei dem Schiffsunglück alles verloren, was sie besessen hatte. Selbst ihre Kleider und die kaputten Schuhe waren bis auf ein zerfetztes Unterkleid weg. Das Einzige, was ihr geblieben war, war das Amulett ihres Vaters, das immer noch um ihren Hals hing. Gut gehütet und versteckt war es gewesen, jetzt lag es ungeschützt auf ihrer Haut. Schwermütig schloss sie ihre Finger um das Schmuckstück und dachte daran, wie sie es mit dem Reisetagebuch zum ersten Mal in der Hand gehalten hatte. Auch die Bücher waren verloren, genau wie die Karten, die Doktor Pfeiffer abgemalt und übereinandergelegt hatte.
Conrad Pfeiffer. Jana sah ihn immer wieder vor sich, und die Erinnerung bohrte in ihrem Herzen wie ein spitzer Dorn. Warum war ihnen nicht mehr vergönnt gewesen als ein paar leidenschaftliche Küsse? Jana versucht den Gedanken zu verdrängen, aber er ließ sich nicht abschütteln. Beim Essen, beim Spazierengehen, beim Bettenmachen, beim Geschirrwaschen – die Erinnerung an seine türkisblauen Augen verfolgte sie unbarmherzig.
Maria hatte unterdessen in ihrer Kleidertruhe ein Kleid für Jana gefunden, das zwar etwas zu kurz und zu weit war, sich aber ändern ließ. Die freundliche Frau stellte sich als sehr geschickt im Umgang mit Nadel und Faden heraus, und innerhalb eines einzigen Nachmittags gelang es ihr, aus dem alten dunkelblauen Kleid ein halbwegs alltagtaugliches Kleidungsstück für Jana zu machen. Es war bei weitem nicht so schön wie das, das Jana in Limoges gekauft hatte, aber es passte. Aus einer kleinen Schachtel, die Maria auf einem Regalbrett über dem Bett aufbewahrte, holte sie ein Stück hässlicher Spitze, ein paar billige Glasperlen und ein buntes Band hervor, die nähte sie ihr an den Ausschnitt und den Saum des Kleides, in dem Glauben, Jana damit eine besondere Freude zu bereiten.
Jana war gerührt von Marias
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