Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
auf und legte ihr eine weiche, warme Decke über die Schultern, die nach Hund und gebratenem Fisch roch.
Plötzlich fiel Jana alles wieder ein. Das Schiff war im Sturm untergegangen. Wo war der Rest der Mannschaft? Wo war Conrad Pfeiffer?
Aufgeregt stellte sie der kleinen, freundlichen Frau mehrere Fragen nacheinander, aber die schüttelte bloß den Kopf und lächelte ihr zu. Dann fasste sie Jana unter dem Arm und zog sie mit sich. Der Hund sprang bellend und schwanzwedelnd neben ihnen her.
Jana wäre gern den Strand entlanggelaufen, um nach Doktor Pfeiffer suchen. Er hatte sich an einem Fass festgehalten, aber was, wenn er es verloren hatte, so wie sie ihres? War er in den Wellen ertrunken? Verzweifelt blickte sich Jana um. Kaputte Schiffsteile, geborstenes Holz und Reste von Stoff und Leinen lagen über den Strand verteilt.
Die freundliche Frau zog Jana weiter und deutete zu einem Hügel, auf dem ein kleines helles Holzhaus stand. Da sah Jana unterhalb einer Klippe etwas Großes, Dunkelbraunes im Kies liegen. War das ein Mensch? Sie riss sich von der Frau los und lief zu dem leblosen Teil. Schon wenige Schritte davor erkannte sie, was es war.
»Nein!«, schrie sie so laut, dass die Möwen protestierend von ihren Plätzen auf den scharfen Vorsprüngen in der Felswand aufflogen. Jana stürzte sich auf den toten Körper ihres geliebten Pferdes.
»Marie!«, schluchzte sie. »Es ist alles meine Schuld. Mein verdammter Egoismus. Mein Starrsinn, mein unsinniger Wunsch nach Freiheit.« Jana legte sich auf den kalten Körper des Tiers, klammerte sich daran fest und weinte. Nie wieder würde sie auf dem kräftigen Rücken sitzen, nie wieder die samtig weiche Mähne streicheln. Das treue Pferd war tot, und es war ihre Schuld. Marie hatte nicht auf das Schiff gehen wollen. Aber Jana hatte sie überredet, dazu gedrängt, die schmalen Holzplanken zu überqueren. Jetzt wünschte sie, das Tier hätte sich geweigert, wäre bockig stehen geblieben und hätte gescheut wie andere Pferde auch.
Warme, salzige Tränen flossen Jana über die heißen Wangen, tropften auf das nasskalte Fell und versickerten dort. Plötzlich begann sie heftig zu zittern, es schüttelte sie so sehr, dass sie nicht mehr allein aufstehen konnte. Die alte Frau, die traurig neben ihr stand, legte ihre kühle Hand auf Janas glühende Stirn. Mit einem entschlossenen Ruck zog sie Jana hoch und führte sie weiter.
Währenddessen redete sie mit ihrer wundervoll warmen, weichen Stimme auf Jana ein. Jana verstand die Worte nicht, erfasste aber den Sinn. Die Frau wollte sie trösten.
»Ich muss weitersuchen!«, erklärte Jana unter Zähneklappern und deutete mit einem zitternden Arm auf den Strand. Aber die kleine Frau schüttelte energisch den Kopf und schob Jana den Hügel hinauf bis zu der kleinen Hütte.
Das Haus bestand aus einem einzigen Raum, doch der war gemütlich eingerichtet. Saubere Regale säumten die Wände, vor einem Fenster befand sich ein kleiner Tisch, auf dem getrocknete Blumen in einem angeschlagenen Krug standen. Mittelpunkt des Häuschens war ein einfacher Ofen, über dem Kräuter, Knoblauch und Fische trockneten. Auf einem großen Bett lag eine bunte Decke, die aus unterschiedlichsten Stoffteilen zusammengenäht worden war.
Die freundliche fremde Frau wickelte Jana in eine weitere Decke ein und setzte sie aufs Bett. Fürsorglich strich sie ihr das nasse Haar aus der Stirn, tätschelte ihr die Wange und summte eine beruhigende Melodie, wie Mütter es für ihre Kinder taten. Dann zündete sie ein Feuer im Ofen an und stellte einen Topf darauf.
Wenig später drückte sie Jana einen heißen Becher in die Hand, aus dem es nach Kräutern und Alkohol roch. Mit einem Nicken bedeutete sie Jana, sie solle trinken. Zögernd nahm Jana einen Schluck, die dampfende Flüssigkeit war süß und schmeckte nach Äpfeln. Sie wollte den Becher zurückgeben, aber die Frau wies sie an, ihn auszutrinken. Also leerte Jana den Becher und fiel dann erschöpft in die weichen Kissen.
Sie schlief auf der Stelle ein und träumte von Conrad Pfeiffer. Der Arzt mit den türkisblauen Augen und den Grübchen in den Wangen küsste sie zärtlich. Doch kaum berührten seine Lippen die ihren, tauchte aus dem Nichts ein Wassermonster auf, ein muschelbesetztes, schleimiges kaltes Wesen, das Pfeiffer gewaltsam von Jana wegriss und ihn mit sich auf den Meeresgrund nahm, wo Marie bereits leblos lag. Tomek erschien und beschimpfte Jana. Er schrie sie an, sie habe sein Pferd
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