Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
war sauber gefegt und abgesperrt, die Medikamente alle verstaut und auf dem richtigen Platz. Trotzdem schaffte Radomila es, unzufrieden zu sein und sich bei Jana zu beschweren.
»Ich habe dir doch gesagt, dass Tomek zum Abendessen kommt«, sagte sie vorwurfsvoll.
Jana hatte ihren gesamten Ärger bereits beim Lesen des Briefes verbraucht. Resignierend meinte sie: »Das stimmt, aber du hast nicht erwähnt, dass der Doktor aus Wien mit uns isst und ganz sicher nicht gesagt, dass Tomek seinen Freund mitbringt.«
»Wenn man in diesem Haus nicht alles selbst in die Hand nimmt, geht es schief!« Radomila stürzte zum Herd, schnappte nach einem Topf und wärmte darin Knödel und Kraut, die vom Vortag noch übrig waren.
Jana war es gleich. Ihr war ohnehin der Appetit vergangen. Am liebsten hätte sie sich ins Bett verkrochen, die Decke über den Kopf gezogen und sich selbst bemitleidet. Aber im Moment war das nicht möglich. Deshalb teilte sie die Hühner, legte die Stücke auf Servierplatten und ging damit in die Stube. Dort saßen bereits die Männer rund um den Tisch und tranken von dem Bier, das Pavlina gebracht hatte. Draußen war es längst dunkel geworden, über dem Tisch brannten vier Kerzen in dem großen Leuchter aus Metall. Das war völlig unüblich, aber offensichtlich war die Anwesenheit von Tomeks Freund Jendrik Zajic und dem Arzt aus Wien für Radomila Anlass genug, sie anzuzünden. Die Kerzen tauchten den Raum in das festliche orangerote Licht, das Jana mit Weihnachten und Ostern verband.
Onkel Karel saß neben dem Doktor aus Wien, der nun ein frisches Hemd anhatte und rasiert war. Auf seiner rechten Wange hatte ein scharfes Rasiermesser einen feinen Schnitt hinterlassen. Auch sein Haar war gewaschen, und soweit man es beim Lichterschein der Kerzen sagen konnte, war es tatsächlich rotblond. Im Moment glänzte es, weil es noch feucht war, und ringelte sich an den Spitzen, die ihm bis zu den Schultern reichten. Ohne den Bart wirkte sein Gesicht schmal, mit markanten Wangenknochen, und die winzigen Flecken auf der Nase waren keine Schlammspritzer, sondern Sommersprossen. Leider hatte er seinen überheblichen Blick nicht mit abgewaschen. Er musterte Jana so spöttisch wie am Nachmittag.
Ihm gegenüber saßen Tomek und dessen alter Freund aus Kindheitstagen, Jendrik Zajic. Die beiden waren miteinander aufgewachsen, und die glücklichen Kindheitserinnerungen hatten ein so starkes Band der Freundschaft zwischen den Männern geknüpft, dass es trotz unterschiedlichem Glauben und Weltbild bis jetzt zu keinem Zerwürfnis gekommen war. Während Tomek im Dienst des Grafen Heinrich Matthias von Thurn stand, eines böhmischen Adeligen deutscher Herkunft, der seit Jahren daran arbeitete, den erzkatholischen Habsburgerkönig Ferdinand zu stürzen, unterrichtete Jendrik Zajic im Clementinum Theologie. Das Clementinum war ein Kolleg der Jesuiten, das erst vor zwei Jahren vom katholischen Habsburger Ferdinand zur Universität erhoben worden war und nun der Prager Hochschule große Konkurrenz machte. Zajic widmete sich den wichtigen Glaubensfragen, er versuchte wissenschaftlich zu beweisen, dass der katholische Glaube der einzig wahre und richtige Weg zu Gott sei, und fühlte sich als Jesuit dem Papst verpflichtet. Man hätte meinen können, dass es genug Gründe gab, die eine Freundschaft zwischen den beiden Männern unmöglich machten, aber erstaunlicherweise war genau das Gegenteil der Fall. Je mehr sich die Fronten zwischen Protestanten und Katholiken verhärteten, desto intensiver wurde ihre Freundschaft.
Jana vermutete, das Geheimnis der beiden lag darin, dass sie nicht über politische Themen sprachen. Obwohl das im Moment in Prag schwierig bis unmöglich war. König Ferdinand sägte mit der Unterstützung seines Cousins Kaiser Matthias an den Privilegien der Protestanten und schränkte die bisher zugesicherte Religionsfreiheit zunehmend ein, während auf der anderen Seite der Unmut des böhmischen Adels wuchs. Immer öfter hörte man hinter vorgehaltener Hand die Worte »Umsturz« und »Aufstand«. Jana war sicher, dass Tomek heute Abend beide Wörter nicht aussprechen würde, auch wenn er sich seit Monaten mit nichts anderem beschäftigte.
»Das ist meine Lieblingsnichte Jana«, sagte Karel mit einer ausladenden Handbewegung in ihre Richtung. Seine glasigen Augen und die roten Wangen verrieten, dass er seinen ersten Bierkrug bereits geleert hatte.
»Ich hatte mit Eurer Nichte schon das Vergnügen.« Der Arzt
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