Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
nicht böse, wenn du neidisch bist.« Tomek lachte laut über seinen eigenen Witz.
»Ich bin nicht neidisch«, erwiderte Jendrik beleidigt. Zu Onkel Karel sagte er demütig: »Entschuldigt meine heftigen Gefühle in dieser Debatte.«
Doch für Doktor Pfeiffer war das Gespräch keineswegs beendet.
»Mein Lehrauftrag an der Universität ist nicht der einzige Grund für meine Reise nach Prag«, verkündete er und fügte mit provokantem Stolz hinzu: »Auch im Clementinum schätzt man mein Wissen. Ich habe eine Einladung von Eurem Abt erhalten.«
Überraschung machte sich auf Jendriks schmalem, mageren Gesicht breit. »Was kann unser ehrwürdiger Abt von Euch wollen?«
»Scheinbar befinden sich in Eurer Bibliothek Bücher, bei deren Entschlüsselung er die Hilfe eines Experten benötigt.«
»Und Ihr glaubt, dieses Fachwissen zu besitzen?«
Pfeiffer zuckte auf überhebliche Weise mit den Schultern. »Euer Abt scheint es zu glauben.«
Missbilligend schnalzte Jendrik mit der Zunge, sah den Arzt aus zusammengekniffenen Augen an und setzte zu einer Antwort an, doch da mischte sich Radomila ein und beendete die Diskussion. Mit etwas gezwungener Fröhlichkeit erklärte sie: »Dann wollen wir nicht länger mit dem Essen warten.«
Alle falteten die Hände, und Karel sprach ein rasches Tischgebet. Dr. Pfeiffer und Jendrik murmelten die Worte mit. Schließlich teilte Radomila die Hühner, das Kraut und die Knödel aus.
Eine Zeitlang war nur das Klappern des Geschirrs zu hören. Dann eröffnete Onkel Karel erneut das Gespräch: »Ihr kommt direkt aus Wien?«
»Nein, ich komme aus Padua, dort habe ich unterrichtet. Davor war ich in Bologna. Studiert habe ich allerdings in Wien, wo ich auch aufgewachsen bin.«
»Was treibt einen Mann nach Bologna und Padua?« Karel sah interessiert von seinem Teller auf.
»Wissensdurst, berühmte anatomische Werke wie etwa De humani corporis fabrica libre septem und Vorlesungen in den großen anatomischen Theatern, wo nach Vesalius’ Vorbild seziert wird. Derzeit werden die fortschrittlichen Gedanken im Süden formuliert.« Pfeiffer sah ausschließlich Janas Onkel an, während er sprach.
»Und jetzt wollt Ihr dieses neuerworbene Wissen in Prag verbreiten?«
»Ich werde es versuchen.«
»Ihr wollt öffentlich Leichen aufschneiden?«, fragte Jana überrascht. In einer der Schriften, die ihr Onkel regelmäßig erhielt, hatte sie von dem anatomischen Theater gelesen. Sie fand die Vorstellung, dass jemand eine Leiche aufschnitt, während ein ganzer Hörsaal voller Studenten dabei zusah, etwas gruselig. Jendrik Zajic öffnete ebenfalls den Mund, um einen empörten Kommentar zu äußern, unterließ es aber doch. Offenbar hatte er bereits genug gesagt.
»Ich fürchte, man wird mir hier keine Leichen zur Verfügung stellen«, erwiderte der Doktor trocken.
»Aber Ihr werdet es versuchen?«
Doktor Pfeiffer bekam keine Möglichkeit zu antworten, denn Radomila meinte empört: »Ich glaube nicht, dass sich dieses Thema als Tischgespräch eignet.«
Dann fragte sie versöhnlich: »Will jemand noch ein Stück Huhn?«
Doktor Pfeiffer hielt ihr dankbar den Teller entgegen.
Auch Tomek nahm sich noch einen Nachschlag, alle anderen waren satt.
»Ich hoffe, Ihr werdet Euch in Prag wohl fühlen«, sagte Radomila zu ihrem neuen Untermieter. Jana bezweifelte nicht, dass der Arzt Prag lieben würde. Hier gab es genug Menschen, die er mit seinen Ideen begeistern konnte, und mindestens ebenso viele, die er damit vor den Kopf stieß, wie gerade eben Jendrik Zajic. Aber Jana vermutete, dass er an solchen Auseinandersetzungen Gefallen hatte.
Wenig später hob Radomila die Tafel auf, indem sie begann, das Geschirr wegzutragen. Conrad Pfeiffer verabschiedete sich als Erster, Tomek und sein Freund folgten. Schließlich zogen sich auch Onkel Karel und Radomila zurück.
Jana und Pavlina blieben mit dem schmutzigen Geschirr zurück. Das war wieder einmal ein Vorgeschmack auf die Ehe mit Tomek.
Als Jana am nächsten Morgen erwachte, war es deutlich später als sonst. Die Sonne warf helles Licht auf ihr Bett, ein Zeichen dafür, dass sie verschlafen hatte.
Vorwurfsvoll sah sie die weißgraue Katze an, die sie sonst stets zur fünften Stunde aufweckte, damit Jana sie mit Wasser und Futter versorgte. Heute hatte sich das Tier einfach nicht gemeldet und friedlich auf ihrer Bettdecke weitergeschlafen. Jetzt streckte es sich genüsslich, gähnte und schmiegte sich schnurrend an Janas Beine.
»Du bist eine
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