Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
aus Wien nickte Jana zu.
»Ach, wirklich?« Onkel Karel kratzte sich den fast kahlen Kopf. »Na, dann habt Ihr bis auf meine Frau bereits alle Mitglieder dieses Haushalts kennengelernt.«
In dem Moment betrat Radomila die Stube und stellte lächelnd den Topf mit Knödeln und Kraut auf den Tisch. Sie reichte Doktor Pfeiffer die Hand und schickte Pavlina erneut in die Küche, um weiteres Bier zu holen. Als sie sich setzte, raschelte der Stoff ihres kostbaren Kleides. Sie trug immer noch die Bernsteinkette, die nun im warmen Licht der Kerzen fast golden glänzte.
»Es freut mich, dass Euch die Kammer zusagt und Ihr bei uns wohnen wollt«, sagte sie betont freundlich zu dem Arzt. Jana war davon überzeugt, dass die Tante bei jedem ihrer Worte die Münzen in ihrer Geldkassa klimpern hörte.
»Doktor Pfeiffer wird bei uns wohnen?« Tomek bemühte sich erst gar nicht, seinen Unmut zu verbergen. Feindselig musterte er den Fremden. Tomeks Augen waren so dunkel wie die von Radomila, und er hatte ihre spitze Nase und die dunklen Locken geerbt. Nur der Mund unterschied sich. Während Tomek volle, runde Lippen hatte, waren die von Radomila kaum vorhanden und glichen einem dünnen Strich.
»Ja, ist das nicht wundervoll?«, antwortete Radomila mit süßer Stimme. Dabei warf sie ihrem Sohn einen Blick zu, der keine Widerrede zuließ. Zu Jana sagte sie: »Komm, meine Liebe, setz dich.«
Der einzige Platz, der noch frei war, war der Stuhl neben Doktor Pfeiffer. Jana hatte also keine Wahl. Zum Glück war der widerliche Gestank verschwunden, und er roch nach einer Mischung aus Tannennadeln und Sandelholz. Möglichst unauffällig warf Jana einen Blick unter den Tisch. Doktor Pfeiffer hatte seine schweren Stiefel gegen weiche Lederschuhe eingetauscht. Eine Spur zu vertraulich lehnte er sich zu ihr und flüsterte: »Ich habe die Stiefel und die schmutzige Kleidung zu Eurer Nachbarin gebracht, die beides gegen Bezahlung reinigen wird.«
»Könnt Ihr Eure Stiefel nicht selbst saubermachen?«
»Ich könnte schon. Aber ich will nicht.«
Tomek, dem das Flüstern nicht entging, starrte finster über den Tisch. »Wann habt Ihr meine Verlobte kennengelernt?«, fragte er.
»Eure Verlobte?«, erkundigte sich der Gelehrte überrascht.
»Jana und ich werden im Sommer heiraten.« Tomek machte aus seinen Besitzansprüchen kein Hehl. Wäre er nicht zu weit weggesessen, hätte er Janas Hand über den Tisch hinweg berührt. Vielleicht war es doch ganz gut, dass nur noch dieser Platz frei gewesen war.
»Wie schön«, sagte Doktor Pfeiffer. »Ich gratuliere Euch.« Warum hörte Jana Spott in seiner Stimme? Vielleicht dachte er an Bedrichs Kusshand.
»Was werdet Ihr in Prag machen?«, wollte Karel wissen. Janas Onkel war ein großzügiger Mann, der an seinen Mitmenschen ehrlich interessiert war, auch an dem neuen Untermieter.
»Ich habe den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität angenommen. In den letzten Jahren hat Prag sich zu einem Zentrum des Fortschritts gewandelt. Viele großartige Gelehrte haben hier geforscht und gelehrt.«
Onkel Karel nickte zufrieden, aber Tomeks Freund, Jendrik Zajic, verzog angewidert den Mund und meinte: »Die Universität ist ein Ort voller Nichtsnutze. In wenigen Jahren wird das Clementinum der einzige Ort sein, an dem Wissen, Weisheit und Wahrheit gelehrt werden.« Er spuckte das Wort Universität aus wie einen verdorbenen Bissen.
»Was treibt Euch dazu, die Mitglieder der Universität zu verunglimpfen?«
»Ich kenne die Gelehrten, die dort unterrichten. Es sind durchweg Männer, die abstruse Theorien verbreiten.«
Irritiert hob Pfeiffer beide Augenbrauen: »Von wem genau sprecht Ihr?«
Zajic machte eine Handbewegung, die an eine junge Frau erinnerte, betrachtete seine sauberen Fingernägel und seufzte. Dann erklärte er: »Vor Jahren hat Rudolf II. sogenannte Gelehrte nach Prag geholt, die gefährliche Lehren vertreten. Im Clementinum versuchen wir uns gegen diesen Unsinn zu wehren. Wir unterrichten nicht nur das Wort Gottes, sondern lehren unsere Studenten auch, die Wunder der göttlichen Schöpfung zu verstehen.«
Interessiert hob Jana den Kopf. Nie zuvor hatte Zajic im Haus des Onkels über die Rivalität des katholischen Jesuitenkollegs mit der Universität, an der sowohl Katholiken wie auch Protestanten unterrichteten, gesprochen. Wie würde Tomek reagieren? Aber dessen Interesse galt allein den vollen Schüsseln auf dem Tisch.
Unterdessen schien Zajic bemerkt zu haben, dass er sich im
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